Pro Asyl über Menschenrechte, Flüchtlingspolitik & Co.

von | Sep. 26, 2025

Wiebke Judith von Pro Asyl, Flüchtlingsschutz in Deutschland: Interview mit PRO ASYL

PRO ASYL ist die unabhängige Stimme für die Menschenrechte und den Schutz von Flüchtlingen in Deutschland und Europa. Wir reden mit Wiebke Judith, Rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL, über ihre Arbeit, Erfahrungen und Wünsche. 


Was bedeutet Demokratie für Sie persönlich und welche Rolle spielt sie in Ihrer täglichen Arbeit bei Pro Asyl? 

Demokratie ist die Grundlage unseres Zusammenlebens in Deutschland. Damit meine ich, dass sich alle Menschen an politischen Prozessen beteiligen können, dass wir Meinungsfreiheit haben und dass Menschenrechte respektiert werden müssen. Das ist etwas, was für uns von Pro Asyl grundlegend ist.

Wir arbeiten für die Rechte von geflüchteten Menschen und damit für die, die häufig nicht wählen dürfen. Im demokratischen Prozess ist das eine Gruppe, die benachteiligt ist, weil sie für Politiker:innen weniger interessant ist als andere Gruppen.

Wir verstehen uns als Lobby für geflüchtete Menschen, um sie im demokratischen Prozess zu vertreten – und das mit dem Rückenwind unserer Mitglieder. Das sind Menschen, die sich für die Rechte von Geflüchteten interessieren und denen es wichtig ist, dass Deutschland die Menschenrechte achtet. Also, dass wir menschenwürdig mit den Menschen umgehen, die hier ankommen, um Schutz zu suchen. 

Für uns ist wichtig, dass zu unserer Demokratie auch der Flüchtlingsschutz gehört. Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Flüchtlingsschutz sind alles Lehren aus den Gräueln des Zweiten Weltkriegs. Das sollten wir uns gerade in Deutschland immer wieder bewusst machen. 

Okay, vielen Dank schon mal dafür. Können wir das Ganze ein bisschen konkretisieren für unsere Leserschaft? Welche Kernaufgaben übernimmt Pro Asyl konkret, um geflüchtete Menschen zu unterstützen? 

Bei Pro Asyl haben wir unterschiedliche Arbeitsbereiche, mit denen wir Menschen auf der Flucht unterstützen. Wir haben ein Beratungsteam, an das sich Geflüchtete oder auch Unterstützer*innen wenden können, um im Einzelfall Beratung für ihr Asylverfahren oder 
zu aufenthaltsrechtlichen Fragen zu erhalten. Hier geht es um die konkrete Unterstützung ganz nach unserem Motto: Der Einzelfall zählt. 

In bestimmten Fällen können wir auch über unseren Rechtshilfefonds nötige Gerichtsverfahren mitfinanzieren, denn oft kommen geflüchtete Menschen erst zu ihrem Recht, indem sie dies einklagen. Weil das eine hohe Hürde für geflüchtete Menschen ist, unterstützen wir da auch finanziell. Hierfür arbeiten wir eng mit den Flüchtlingsräten der Bundesländer zusammen, unseren lokalen Partnern.

Wir haben auch einen großen Fokus auf Europa, denn das Flüchtlingsrecht und die Asylpolitik sind europäisch – entsprechend müssen auch wir in der Zivilgesellschaft europäisch denken und vernetzt arbeiten. Wir haben zum Beispiel in Griechenland eine Schwesterorganisation, Refugee Support Aegean, die wir finanzieren und die in Griechenland Geflüchtete juristisch vertritt. Unsere Kolleg*innen bringen diese Fälle auch bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Aber auch in anderen Ländern unterstützen wir Organisationen, die sich vor Ort unter oft widrigen Umständen für Flüchtlingsrechte engagieren. 

Es ist uns außerdem wichtig, unsere Erkenntnisse aus der praktischen Einzelfallarbeit in die Politik und in die Öffentlichkeit zu bringen. Damit möchten wir ein besseres Verständnis für das Thema Flucht und Asyl schaffen und natürlich auch die Politik dazu bewegen, Gesetze einzuhalten und Menschenrechte zu achten. 

Wandbild mit Schriftzug „Everyone is Welcome“ als Symbol für Willkommenskultur, Integration und Flüchtlingsschutz in Deutschland, angelehnt an das Interview mit Pro Asyl

Wenn man sich die letzte Wahl anguckt, tut es einem dann richtig weh, wie das Thema Flucht und Asyl für Propaganda genutzt wurde? 

Es sind auf jeden Fall sehr schwierige Zeiten für den Flüchtlingsschutz. Wir hatten gerade eine Regierung, die gerade in den Fragen des Flüchtlingsschutzes mit einem sehr progressiven Koalitionsvertrag angetreten war. Aber es ist eine bittere Bilanz der Ampel-Regierungszeit, die wir ziehen. Denn wichtige Vorhaben wurden einfach nicht umgesetzt, zum Beispiel Verbesserungen beim Familiennachzug. Stattdessen wurde der europäischen Asylrechtsreform und damit massiven Rechtsverschärfungen auf europäischer Ebene zugestimmt. Auch in Deutschland hatten wir verschiedene Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht, die ursprünglich nicht so vereinbart wurden. 

Wir sehen auch, dass das Thema gerade seit dem letzten Jahr immer stärker für Hetze genutzt wurde und im Wahlkampf weiter damit polarisiert wurde. Das vergiftet die Stimmung im Land und beunruhigt auch viele Geflüchtete. Uns macht gerade besonders Sorgen, dass sich die nächste deutsche Bundesregierung anscheinend nicht an EU-Recht und Grundgesetz halten will, wenn es um geflüchtete Menschen geht. Das ist ein Schritt weg von Rechtsstaatlichkeit und damit für uns auch ein Schritt weg von demokratischen Grundprinzipien. Wir werden aber weiter an der Seite der Betroffenen stehen und schauen, wie man zum Beispiel mit Klagen dagegen vorgehen kann. 

Ich glaube, bei dem Thema merkt man einfach, dass der rechte Populismus sehr leicht Ängste vor fremden Menschen schüren kann. Das ist leider etwas, was psychologisch doch immer noch sehr gut funktioniert. Und es ist bitter, wenn auch Parteien aus der Mitte auf diesen Zug aufspringen, in der Annahme, Wähler wieder zurückzugewinnen – damit aber nur die rechtsextremen Narrative stärken, selbst aber nichts gewinnen. Das Wichtige wäre also nicht nur eine Brandmauer in der Zusammenarbeit mit rechten Parteien, sondern vor allen Dingen eine inhaltliche Brandmauer: Keine rechtsextremen Positionen übernehmen

Politik sollte ja eigentlich wirtschaftsnah sein und erkennen, dass wir Fachkräftemangel haben und Zuwanderungen nötig sind. Wo ist denn diese Diskussion schiefgelaufen? 

Ich verstehe nicht, dass eine CDU, die wirtschaftliche Probleme beklagt, gleichzeitig behauptet: „Flüchtlinge brauchen wir nicht.“ Viele Unternehmen machen dagegen deutlich, dass wir diese Menschen sehr wohl brauchen. 

Es sind deswegen auch mittlerweile Wirtschaftsverbände, die fordern, dass wir mit der Abschiebungshysterie Schluss machen müssen und die geflüchteten Menschen hier einfach in den Arbeitsmarkt lassen sollten. Wenn man mit Leuten aus der Migrationsforschung spricht, dann sagen die, dass sich die EU geschlossene Grenzen in ein paar Jahren wahrscheinlich wirtschaftlich gar nicht leisten kann.

Wir sind ein alternder Kontinent und brauchen Menschen, die zu uns kommen und bei uns arbeiten wollen. Und im internationalen Vergleich muss man da ganz hart sagen: Deutschland ist für viele Arbeitskräfte nicht das attraktivste Land, weil wir eine komplizierte Sprache haben, weil man mit Englisch bei unseren Behörden nicht so weit kommt und wir auch nicht immer als das herzlichste Land gelten. Da sehen wir also ein Auseinanderfallen von Realität und Politik. Als Pro Asyl wollen wir aber keine Nützlichkeitsdebatte führen, denn Asyl zu suchen, ist ein Menschenrecht.

Wie schafft man es, bei all diesen schwierigen Themen und diesen wahrscheinlich nervenaufreibenden Diskussionen die Kraft und die Motivation zu behalten, um sich für solche Dinge einzusetzen? 

Wir bei Pro Asyl merken natürlich die schwierigen Zeiten. Das ist durchaus belastend, vor allen Dingen, weil man mitkriegt, dass das auch viele geflüchtete Menschen sehr belastet. Sie haben einfach Angst. Angst vor Abschiebung, vor dem Stimmungsumschwung und auch vor rechten Übergriffen. Da ist es manchmal schwer, sich nicht hilflos zu fühlen. 

Aber was uns dann Kraft gibt, ist zu wissen, dass wir nicht allein sind. Und dass wir immer wieder Erfolg haben – in Einzelfällen oder auch mit Grundsatzentscheidungen vor höchsten Gerichten. Es bestärkt uns auch, dass es eine ganz große Kraft gibt in den Communities von Geflüchteten. Sie werden sich nicht einfach ihre Rechte wegnehmen lassen, sondern treten sehr stark für ihre Position ein. 

Insgesamt gibt es zudem eine sehr gute Zusammenarbeit unter den Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, und diese wichtige Solidarität müssen wir weiter stärken und ausbauen. Von der Politik wird immer negativer auf die Zivilgesellschaft geschaut, obwohl wir so viel beitragen und leisten in diesem Land. Da ist es wichtig, uns gegenseitig zu stärken.

Wie schafft man es, bei diesem Thema faktenbasierte Diskussionen zu fördern? Haben Sie da Tipps? 

Das Wichtigste ist, mehr auf die Wissenschaft zu hören. Es gibt tolle Forschung und viele Expert*innen mit sehr guten Informationen, die auch sehr differenziert in der Debatte auftreten. Frustrierend ist, dass es in vielen Medien oft weniger Interesse an solchen differenzierten Meinungen gibt, als an den sehr kurzen Hot-Takes. 

Pro Asyl präsentiert immer wieder aktiv Faktenchecks, analysiert Statistiken und berichtet über die Lage in den Herkunftsländern und stellt weitere Informationen zur Verfügung – in den sozialen Medien, auf unserer Homepage, vor der Presse.

Im Alltag ist natürlich jede Person gefragt, auch selbst zu sagen: „Lass uns uns doch an dem Punkt breiter informieren, lass uns mal schauen, was es wirklich an Informationen gibt, bevor wir vielleicht voreilig Narrative annehmen, die uns präsentiert werden.“ Das wird in ganz unterschiedlichen Fragen immer wichtiger. 

Schafft man es denn, mit Informationen und Fakten gegen Emotionen anzugehen? 

Es ist tatsächlich sehr schwierig, Menschen, die schon eine feste Meinung haben, allein mit Fakten von einer anderen Sichtweise zu überzeugen. Deswegen ist es uns auch wichtig, immer wieder von Einzelschicksalen zu berichten und die Erlebnisse von geflüchteten Menschen in den Fokus zu stellen. 

Letztlich sind es idealerweise wirklich Begegnungen, die ablehnende Menschen zum Nachdenken bringen können. Das wird aber natürlich schwieriger, wenn Geflüchtete immer stärker ausgegrenzt werden und so Begegnungen erschwert werden. Wenn Geflüchtete zum Beispiel in großen Sammellagern untergebracht werden, gibt es kaum Kontakte mit Menschen in der Umgebung. 

Das stellen wir auch fest. Vor Leuten, die man kennt, hat man auch keine Angst mehr. Was können denn die Bürger*innen zur Unterstützung Geflüchteter beitragen? 

Gerade wenn Politik immer repressiver wird, wird die konkrete solidarische Arbeit immer wichtiger. Das muss natürlich nicht immer ein intensives Engagement sein. Viele Menschen haben einen Vollzeitjob, Familie und so weiter, das wissen wir. Da schafft man es nicht so leicht, sich jede Woche ein paar Stunden in einer Geflüchtetenunterkunft zu engagieren oder Rechtsberatung anzubieten, wofür man ja auch erst ein gewisses Wissen aufbauen muss. 

Aber es gibt auch niedrigschwellige Arten der Unterstützung. Ein wirklich tolles Beispiel dafür sind die Tauschaktionen für die diskriminierende Bezahlkarte: Menschen mit Bezahlkarte kaufen Gutscheine für Supermärkte, die die Unterstützer*innen ihnen gegen Bargeld abkaufen. Mit Bargeld sind sie flexibler und können zum Beispiel auf dem Flohmarkt einkaufen oder das Schulessen bezahlen.

Die Bezahlkarte wurde nach einem wirklich sehr populistischen Diskurs eingeführt, um Geflüchteten bewusst den Alltag zu erschweren. Solche Unterstützungsgruppen bilden sich sehr schnell in Orten, in denen die Bezahlkarte eingeführt wird. Solche Tauschaktionen erleichtern das Ganze für die betroffenen Menschen ein bisschen – und sie führen auch dazu, dass wieder neue Leute an das Thema Flucht herangeführt werden. 

Es gibt also einfache Möglichkeiten, sich in einer solidarischen Arbeit zu betätigen. Und zu sehen, dass es so viel Kreativität und so viel Engagement gibt, um antidiskriminierende Gegenmodelle zu entwickeln, das ist auch wieder ein Punkt, der uns Kraft gibt. 

Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft der 
Demokratie in Bezug auf Asylpolitik? 

Demokratie braucht auf jeden Fall offene Diskussionen – aber auch differenzierte Diskussionen. Ich glaube, gewisse Grundsätze dürfen nicht zur Disposition gestellt werden, wie die Würde aller Menschen. Im ersten Artikel des Grundgesetzes steht, dass die Würde des Menschen untantastbar ist. Menschenrechte müssen für alle Menschen gleich gelten, ansonsten sind sie nichts wert. Es wird gefährlich, wenn man anfängt, so etwas zur Disposition zu stellen. Menschenrechte sind nicht Rechte der Stärkeren, sondern dafür da, die Rechte Einzelner, auch bestimmter Gruppen, gegenüber dem Staat zu schützen. 

Wir müssen wahrscheinlich insgesamt in der Gesellschaft wieder mehr miteinander reden. Da ist seit der Corona- Pandemie viel verrutscht. Wir haben zunehmend die Situation, dass Menschen in sehr unterschiedlichen Informationsblasen sind und sehr unterschiedliche Nachrichten, Fakten etc. konsumieren. Idealerweise müssen wir mehr demokratische Diskussionsräume schaffen, vielleicht auch sehr lokal, um Leute damit wieder ein bisschen mehr abzuholen. 

Was kann dafür getan werden, dass 
Menschen ohne Migrationsgeschichte sich nicht abgehängt oder vergessen fühlen? 

Die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan hat vor ein paar Jahren einen ganz interessanten Vergleich gemacht: Sie sagt, dass die Erlebnisse von Menschen aus der DDR nach der Wiedervereinigung und die Erlebnisse von Migrant*innen, die neu nach Deutschland gekommen sind, gar nicht so unähnlich waren. Ich finde, das ist eine sehr interessante Analyse, um zu ergründen, warum es zum Teil besonders in Ostdeutschland das Gefühl gibt, nicht ernst genommen und nicht gesehen zu werden oder abgehängt zu sein.

Ich glaube, wir müssen das ernst nehmen und uns mit den dahinterliegenden sozialen Sorgen und Ängsten beschäftigen. Menschenfeindlichkeit entschuldigt das aber natürlich nicht. Die Spaltung der Gesellschaft, die wir aktuell sehen, hat primär mit ungelösten sozialen Problemen zu tun – nicht mit Migration und Flucht. Das ist nur das Thema, auf das viele Ängste projiziert werden. 

Das entspricht ja auch dem Gedanken einer Solidargemeinschaft. Was würden Sie denn tun, wenn Sie einen Tag lang eine Sache bei uns in Deutschland bestimmen könnten? Welche Probleme würden Sie lösen?

Das ist sehr schwer, weil es so viele kleine Stellschrauben im Asylbereich gibt. Insgesamt würden wir uns wünschen, dass wir mit dem Zauberstab dafür sorgen könnten, dass die rechte Hetze gegen Schutzsuchende aufhört. Dass sich nicht nur Deutschland, sondern die gesamte EU wieder zu Menschenrechten bekennt. Dass vor allem die brutalen Pushbacks an den Außengrenzen aufhören, dass das Sterben im Mittelmeer aufhört, aber eben auch, dass Geflüchtete in Deutschland nicht mehr ausgegrenzt werden. Wenn wir für einen Tag einen Zauberstab hätten, dann wären das die Sachen, die wir machen würden. 

Das mit dem Zauberstab ist ein schöner Gedanke. Wir drücken die Daumen, dass Sie das auch ohne Magie umsetzen können.

Vielen Dank für das Gespräch. Je mehr Menschen sich für Demokratie und Flüchtlingsschutz einsetzen, desto mehr Hoffnung haben wir, was die Entwicklung in unserer Gesellschaft angeht. 


Mehr Infos über die Arbeit von PRO ASYL gibt es auf dieser Website.


Fotos: Jonas Beckmann
Interview: Chrissy Kalla

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