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Zack To The Future

September 3, 2024

Die Geschichte des Darmstädter Start-Ups „Focused Energy“, und welche Rolle die Uni Darmstadt dabei spielt.

Ein Beitrag von

subzeroes Magazin – Mai 2024

Der Energiebedarf wird auch in Zukunft immer weiter steigen. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien geht daher auch die Suche nach neuen Technologien weiter. Ein wichtiger Kandidat als Energiequelle der Zukunft ist die Kernfusion. Und das nicht erst, seit die weltweit erste Kernfusion mit „Net Energy Gain“  am amerikanischen NIF weltweite Begeisterung in der wissenschaftlichen Community ausgelöst hat.

Weit vorne in diesem Bereich ist das vom Darmstädter Physikprofessor Dr. Markus Roth und seinem Partner Thomas Forner gegründete Unternehmen „Focused Energy“ in Darmstadt.

Wir sprachen mit den beiden über ihre Gründung, die wichtige Rolle der TU Darmstadt und die Zusammenarbeit innerhalb der wissenschaftlichen Community.  

Kurze Frage zum Einstieg, die wahrscheinlich eine längere Antwort provoziert: wie kommt man von Forschung und Wissenschaft zur Gründung eines Unternehmens?

Markus Roth: Die Geschichte ist wirklich nicht ganz straightforward. Am Anfang kam ich als Professor nach Darmstadt und habe ein Labor für meine Forschungen aufgebaut. Dort haben wir kleine Targets gemacht – alles im Mikrometer- und Nanometer-Bereich. Dabei sind wir ziemlich gut geworden und haben die Targets auch immer wieder an Freunde in benachbarten Laboren verkauft, die uns um Hilfe gebeten haben. Unsere Leute – gerade die Studierenden – sind ziemlich pfiffig und haben dann gesagt: „Ja, wir probieren es. Und wenn es nicht geht, ist es immer noch eine Masterarbeit.“ Und oft hat es funktioniert.

So haben wir uns nach und nach – im Laufe von 20 Jahren – ziemlich viel Expertise draufgeschafft, sind in sehr viele Lasersysteme reingekommen und haben tolle Experimente machen können. Und oft sind unsere Namen auf Autorenlisten gelandet, was super war für meine Studierenden: Die waren dann z.B. in Japan und Amerika bei Experimenten dabei.

Und das Geld, das reingekommen ist, haben wir dann genommen und haben es wieder in neue Maschinen gesteckt, um unseren Fuhrpark zu erweitern. So ein bisschen Entrepreneurship hatten wir da schon. Aber im Prinzip war das eine ganz normale Professur und man bereitete sich so langsam in Richtung Retirement vor.

Aber eines Tages tauchten dann vier junge Leute bei mir auf, haben mich fünf Stunden lang zum Thema Kernfusion ausgefragt und mir am Ende angeboten, meine Professur aufzugeben und mit ihnen nach München zu gehen, um dort als leitender Wissenschaftler in ihrem Start-up zu arbeiten.

Meine erste Reaktion war: Was für eine verrückte Idee!

Dann habe ich eine Nacht drüber geschlafen, bin morgens aufgewacht und habe immer noch gedacht:

Was für eine verrückte Idee.
Aber was, wenn das funktioniert?

Aber eine Berufsbeamtenschaft gibt man nicht von heute auf morgen auf. Also habe ich erst mit meiner Frau geredet und bin dann zu meiner Präsidentin der TU Darmstadt gegangen: Tanja Brühl, die zu diesem Zeitpunkt quasi den ersten Tag im Amt war, und habe gesagt: „Ich hätte jetzt gerne eine Halbtagsprofessur, auf 50 % reduziert, weil ich die Welt retten will.“ Sie hat sich das angehört, dann war sie begeistert und wir haben einen Deal gemacht: Ich bin auf eine 50 %-Professur runtergegangen. Montag und Freitag war ich in Darmstadt, die restliche Woche von Dienstag bis Donnerstag dann in München.

Und so habe ich bei Marvel Fusion als CSO, also Chefwissenschaftler, angefangen. In dieser Zeit tauchte dann auch Tom auf. Der wurde CFO von Marvel, hat sich um die Finanzen und das Investment gekümmert, denn Tom hat irrsinnige Erfahrungen, was Start-ups angeht und solche Sachen.

Mitte 2020 hat sich Marvel aber dann plötzlich entschlossen, die Richtung der Physik zu ändern. Ende 2020 entschied das Board dann, einen anderen – den nicht-thermischen Bor-Proton-Ansatz – weiter zu verfolgen und damit war für mich klar, dass man sich trennt und ich an die Uni zurückgehe.

Interessant. Geschichten in der Nähe der Wissenschaft verlaufen ja fast nie geradlinig.

Markus Roth: Ich bin dann zurück an die Uni zu meiner Präsidentin und habe gesagt: ich will jetzt wieder 100 % Professor werden. Noch in der Übergangszeit habe ich einen Anruf von einer amerikanischen Investorin bekommen, die mitgekriegt hatte, dass ich wieder Vollzeit-Professor war und mich als Experten haben wollte.

Wir sind ins Gespräch gekommen und sie hat irgendwann gefragt, warum Marvel den Ansatz der „Direct-Drive Proton Fast Ignition“ nicht weiter verfolgen würde, denn das wäre nach ihrer Einschätzung der vielversprechendste Ansatz im Bereich der Fusion überhaupt. Natürlich war ich auch der Meinung, dass das der beste Ansatz ist – ist ja mein Ansatz, den ich vor 20 Jahren erfunden habe. Und daraufhin meinte sie:

„Wenn ihr der Meinung seid,
dass das ein toller Ansatz ist,
und wir auch der Meinung sind,
dass das ein toller Ansatz ist,
warum gründet ihr nicht
eine neue Firma?“

Das ist ja echt spannend – ein bisschen wie ein Krimi.

Markus Roth: Also haben wir uns zusammengesetzt, überlegt, was wir machen und dann eine neue Firma gegründet. Und ich bin wieder zur Verwaltung der Uni marschiert.

Und dann bist du auch wieder zu deiner Frau gegangen?

Markus Roth: Ja, aber bei meiner Frau war diesmal die Bedingung, dass wenn wir die neue Firma aufbauen, die dann an einer Stelle sein muss, wo ich im Zweifelsfalle hinradeln kann und nicht wieder morgens um 4:00 Uhr mit dem Zug nach München fahren muss.

Verständlich, ja.

Markus: Damit waren wir uns dann alle sehr schnell einig. Und so haben wir am 1. Juli 2021 Focused Energy gegründet.

Und weil Physiker bei Firmengründungen mindesten einen Erwachsenen im Zimmer brauchen, waren wir sehr froh, dass der Tom gleich mitgemacht hat.

Er kannte dich halt auch schon.

Markus Roth: Ja, Vertrauen ist eine ganz gute Basis.

Tom, vielleicht sagst du jetzt erstmal ein bisschen was dazu.

Thomas Forner: Also, ich bin Kaufmann, zuständig für die Finanzen.

Ursprünglich komme ich von Bertelsmann aus dem Medienbereich. Dort habe ich irgendwann Ende der 90er mit der Digitalisierung der Medien angefangen.

Dabei habe ich von Beginn an bei Bertelsmann in der Unternehmensentwicklung am Aufbau von Unternehmungen gearbeitet. Ich habe mein erstes Start-up bei Bertelsmann gegründet – eine Internetplattform für Ärzte und Patienten, wo wir medizinische Informationen publiziert haben.

Das war recht erfolgreich und hat meinen Weg bei Bertelsmann zu noch mehr Verantwortung geebnet. Der rote Faden war immer Digitalisierung, also die Transformation von Büchern und Zeitschriften in digitale Medien. Und zwar im wissenschaftlichen Bereich, der damals noch Bertelsmann-Springer hieß, was heute Springer Nature ist. Ich bin dabei tief ins wissenschaftliche Publizieren eingestiegen mit Peer-Review-Verfahren und allem, was dazugehört. Das ist auch ein wichtiger Teil des Ganzen, da komme ich gleich nochmal dazu. Mein Kern ist der Aufbau von Unternehmen von 0 bis 50, 100, 200, 300, 500 Leuten. Das Größte waren 2.500 Leute.

Aber irgendwann habe ich dann für mich festgestellt: Konzern ist nix. Ich will eigentlich näher ans Geschäft.

Und so bin ich nach zwei eigenen Gründungen bei Focused Energy gelandet und das passt sehr gut: Wir haben identische Werte. Uns sind bestimmte Dinge, wie man miteinander umgeht, wie man mit Leuten umgeht, sehr wichtig. Und der Kern eines erfolgreichen Unternehmens sind Menschen.

Und darum geht es: die richtigen Menschen zusammenzuführen und daraus Mannschaften zu bauen. Und dann natürlich immer noch Investoren zu überzeugen, Geld zu geben.

Jetzt sind wir am Start von Focused Energy und der zweitwichtigsten Frage für Gründer angekommen: wie stellt man es als Start-up an, Investoren anzusprechen und Geld einzusammeln?

Thomas Forner: Das ist schon spannend. Das ist der Kern dessen, was man als Start-up macht, und in dem Umfeld, in dem wir sind, geht es um ganz viel Geld. Da kann man mit einer normalen Finanzierung gar nicht erst anfangen.

Wir wussten, als wir starteten, dass
€ 15 Millionen die absolut unterste Schwelle für uns zum Loslegen sind.

Wow. Und wie sammelt man solche Summen ohne staatliche Förderung privat von Investorinnen und Investoren ein?

Markus Roth: Und ohne, dass man was hat außer einer Idee und zwei Namen.

Thomas Forner: In Deutschland ist eine Seedfinanzierung € 500.000. Eine große Serie A war zu dem Zeitpunkt € 15 Millionen, aber da hat man normalerweise auch ein Produkt und einen Kunden. Wir haben € 15 Millionen Seed nur mit einer Powerpoint eingesammelt.

Und ihr könnt ja nicht, im Gegensatz zu anderen Start-ups, einen Gewinn innerhalb der nächsten drei Jahre versprechen.

Thomas Forner: Nein, gar nicht. Wir haben eine Idee …

Markus Roth: … und wir sagen ganz offen, das Ding kann auch schiefgehen.

Thomas Forner:  Was wir von Beginn an sehr anders gemacht haben, und das ist, glaube ich, was uns auch heute noch von allen anderen weltweit unterscheidet: Wir haben gesagt, Fusion ist ein super-komplexes Thema, das die Entwicklung von Technologie erfordert.

die Technologie,
die wir auf dem Weg
dorthin entwickeln,
ermöglicht es uns,
auch andere Märkte vorher
zu erschließen und Umsätze zu machen,

bevor wir zur Fusion kommen.

Das sagen zu können, dafür war Markus’ Forschung der Schlüssel. Das Stichwort „Laser-Driven Radiation Sources“ ist ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Firma.

Und das zweite, was wir gemacht haben: Wir haben darauf gewettet, dass NIF, also die National Ignition Facility, Net Energy Gain zeigt – also bei einer Kernfusion mehr Energie herausholt, als man hineinsteckt.

Das ist unser Ansatz und den kommerzialisieren wir. NIF ist eine Forschungseinrichtung, die werden nie in Richtung Produktion gehen. Aber die Leute, die brauchen wir.

Und dann seid ihr mit denen in Kontakt getreten?

Markus Roth: Ja, genau. Wir haben von Anfang an gesagt, wir sind ein kleines Start-up. Und egal, wie schnell wir wachsen, wir werden es in der Zeit, die wir uns vorgenommen haben, nicht schaffen, die Fusion allein zu lösen. Das kann nicht gehen. Man sagt immer: „standing on the shoulders of giants“.

Wir brauchen die
internationale Community.
Wir brauchen die Wissenschaftler.
Und wir müssen Kollaborationen
zwischen Universitäten und nationalen
Forschungseinrichtungen haben.

Wir wollen das kombinieren mit der Flexibilität, der Risikobereitschaft und der Geschwindigkeit von einem Start-up. Nur so kann das funktionieren.

Wir sind in einer offenen Kommunikation, im Austausch mit der Community. Wir haben, seitdem die Firma gegründet wurde, 60 Peer-Review-Paper aus der Firma heraus veröffentlicht. Insgesamt gibt es über 2.000 Veröffentlichungen zu dem Thema. Damit schaffen wir uns eine Vertrauensbasis in der Wissenschaft und bei den Investoren.

Thomas Forner: Genau. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wie unterscheide ich sozusagen die Guten von den Schlechten? Und da sind wir jetzt wieder beim Peer-Review-Verfahren. Das ist ein etabliertes Verfahren, das seit 150 Jahren eingesetzt wird.

Das sollte aus unserer Sicht der Kern für Investoren sein, zu entscheiden. Denn wenn ich eine wirklich glaubwürdige Story habe, dann kann ich das Ganze publizieren. Und dann kann ich beim Peer-Review-Verfahren sicherstellen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Wenn wir das vorhin richtig verstanden haben: Das heißt, vor eurem großen Ziel seid ihr schon so aufgestellt, dass ihr auch kleine Zwischenziele verkaufen könnt.

Markus Roth: Ja, ganz genau.

Thomas Forner: Der Laser, den wir jetzt entwickeln, den würden gerne andere Labs kaufen. Das ist eine erste Umsatzquelle.

So ähnlich wie es an der Uni auch angefangen hat, mit dem Verkauf von Komponenten.

Thomas Forner: Genau. Und vielleicht auch ganz wichtig, die Intellectual Property (IP), die haben wir ganz zu Beginn übernommen. Das ist unsere IP für die Entwicklung des Lasers.

Wir haben einen Vertrag mit der Uni Darmstadt erarbeitet. Da sind wir auch die ersten in Deutschland, die sowas gemacht haben.

Das ist „IP for shares“ –
Die Uni ist Mitgesellschafter.

Und wir haben damit Markus’ IP übernommen. Und wir haben uns das Target Lab geteilt.

Markus Roth: Das war ja eines der großen Probleme bei Start-ups: Wenn du ein Universitätsprofessor, ein Postdoc oder ein Doktorand bist und eine genial gute Idee hast, ist es nicht deine Idee. Die Idee gehört der Uni!

Und wenn du damit ein Start-up Unternehmen gründest, musst du deine eigene Idee erst aus der Uni rauskaufen

und dafür brauchst du einen Investor.

Zu dem Zeitpunkt hast du aber nur deinen Namen und deine Idee. Und das macht Gründungen in Deutschland extrem schwierig.

Ja. Und unser Günther hier, der hatte die Idee gehabt. Das ist die Praxis, mit der Stanford reich geworden ist. Stanford hat dieses „IP for shares“ relativ früh gemacht. Und wenn man heute 3 % von Google hält, als Aktienanteil oder so was, dann braucht man sich keine Sorgen zu machen.

Und das ist so ein bisschen die Idee. So was gab es in Deutschland einfach noch nicht.

Für die Uni gut, für die Gründer ein toller Start – also eigentlich eine klassische Win-win-Situation.

Thomas Forner: Ja, genau.

Markus Roth: Und da muss man auch wieder sagen, die Tanja Brühl als Präsidentin ist da sofort drauf abgefahren. Ohne die Unterstützung wäre da nichts draus geworden.

Das ist eine gute Sache für Deutschland generell, wenn sich das jetzt auch an anderen Hochschulen durchsetzt.

Markus Roth: Genau, also die TU Darmstadt hat jetzt glaube ich schon fünf weitere Unternehmen nach dem gleichen Modell ausgegründet.

Also gute Zeiten für Gründer mit fundiertem wissenschaftlichem Hintergrund. Vielen Dank für das Gespräch, das war inspirierend. Vielleicht ein Kick-off für Entrepreneure, die sich mit naturwissenschaftlichem Background selbstständig machen wollen und nicht so recht wussten, wie.

Markus Roth: Das hoffen wir!

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