Weekend Update: Straße der Woche – Strada del Sol

von | Juli 10, 2025

Neuigkeiten zum Thema Wetterkapriolen: In den 70ern reiste der Deutsche in den Süden, der sicheren Sonne entgegen, um dem tristen deutschen Sommer zu entkommen. Heute, im Juli 2025, könnte man nach Italien oder Spanien fahren, um der brutalen Hitze in Deutschland zu entgehen. Das ist zwar nur eine kurzzeitige Sondersituation, aber ein schöner Anlass für eine kleine Geschichte.

Tatsächlich war es ausnahmsweise am 2. Juli in Frankfurt deutlich heißer als in Barcelona oder am Gardasee, aber das wird sich rasch wieder normalisieren. Klimawandel macht eben sehr komische Sachen mit dem Wetter. Aber weil ein Perspektivwechsel manchmal die Augen öffnet, hier die Geschichte der fiktiven Familie Schneider und ihres Sommerurlaubs. Alles frei erfunden. Niemand der Schneiders hat 1974 auf einem Campingplatz am Gardasee als Teenager den Sieg der deutschen Nationalmannschaft über die Niederlande gefeiert. Ehrlich. Wir kramen in der kollektiven Erinnerung, um den beliebten Spruch „Früher gab es auch schon heiße Sommer“ als das zu entlarven, was er ist: Bullshit. Zu den Fakten: Im Sommer 1970 gab es zwei (2!) Hitzetage, im Sommer 2024 waren es 12,5.  

Prolog

Es gibt Geschichten, die beginnen mit einem Sonnenaufgang. Diese hier beginnt mit einem Wetterbericht.

Frankfurt am Main, Anfang Juli 2025: 37 Grad, und das wahrscheinlich nicht zum letzten Mal. Die Stadt kocht, der Asphalt dampft, und die Klimaanlagen brummen wie ein schlecht gelaunter Männerchor. In einer Altbauwohnung in Bockenheim sitzen die Schneiders. Mutter Sabine, Vater Thomas, die inzwischen erwachsenen Kinder Lea (30) und Moritz (27). Alle vier: schweißnass, nervlich angeschmolzen.

Sabine sagt: „Früher sind wir in den Süden gefahren, um Sonne zu kriegen. Heute fahren wir vielleicht, um ihr zu entkommen.“

Und damit beginnt unsere Reise auf der Strada del Sol. Nicht nur geografisch, sondern auch durch die Jahrzehnte.

Kapitel 1: Die goldenen Siebziger – Sonnenhunger made in Germany

Deutschland ist grau, innen wie außen. Das Wirtschaftswunder hat sich ausgetobt, aber die Seele der Bundesrepublik hungert: nach Dolce Vita, nach Farben, nach einem Espresso, der nicht „Mokka“ heißt und aus der Filtermaschine kommt. Also packen die Deutschen ihre Koffer und beladen ihre VW-Käfer, Ford Taunus und Opel Kadett. Und fahren los. Richtung Süden.

Die „Autostrada del Sol“
ist ein Mythos aus Blech,
Sehnsucht und Sonnencreme.

Es ist die Route, die deutsche Familien wählen, um endlich mal braun zu werden. Ohne UV-Lampe.

Die Fahrt ist ein Abenteuer: ohne Navi, ohne Klimaanlage, mit nur einem deutschen Radiosender, der hinter dem Brenner zu schweigen beginnt. Aber es gibt klare Ziele: Rimini, Jesolo, Lido di Ostia. Und immer, immer wieder: Lago di Garda.

Temperaturen in Italien, Sommer 1975: angenehm warme 28 Grad am Tag, nachts runter auf 19. Der perfekte Sonnenmix. Und in Deutschland? Im selben Sommer: regnerisch, 20 Grad im Schnitt. Wer Sonne wollte, musste fahren. Punkt.

Kapitel 2: Die Familie Schneider, Version 1.0

Sabine und Thomas waren 1975 Teenager. Ihre Eltern taten das, was alle taten: Sie packten ihre Kinder, ein Zelt, Ravioli aus der Dose und fuhren los. Thomas erinnert sich:

„Ich hab das erste Mal Spaghetti al dente gegessen. Ich dachte, die sind nicht fertig. Aber es war ein Aha-Moment.“

Sabine lacht: „Und ich hab gelernt, dass man Oliven essen kann. Wenn man will. Ich wollte nicht.“

Die Sommerferien in Italien waren keine Luxusreisen. Aber sie waren ein Versprechen: dass das Leben nicht immer aus Butterbroten, Nieselregen und EDEKA bestehen muss. Sondern auch mal aus Pizza, Meer und dem Geruch von Pinienharz auf heißem Stein.

Kapitel 3: Die Sonne wandert

Fast forward: Sommer 2025. Der Mittelmeerraum – einst der Ort, an dem die Deutschen aufgetaut wurden – ist nun selbst ein Glutofen. Meistens. Aber im Moment ist das gerade mal anders. Verrücktes Wetter!

Frankfurt, 37 Grad. Das Thermometer ist kein Argument mehr. Die Sonne ist übergriffig geworden, eine aufdringliche Verwandte, die sich selbst einlädt und dann nicht mehr geht.

Und doch sitzen die Schneiders beim Frühstück und diskutieren: „Fahren wir?“ Lea sagt: „Ironie des Schicksals, dass wir jetzt in die Toskana müssen, um abzukühlen.“ Moritz googelt: „Hier steht, am Gardasee sind’s gerade 29 Grad. Das ist ja fast eine Wellness-Oase.“

Jeder überlegt leise für sich, ob man jetzt über den Unterschied von Wetter und Klima reden sollte. Muss man nicht. Kann man sich für die nächste Familienfeier mit Onkel Günther sparen. 

Kapitel 4: Reiseverhalten im Wandel

1975 war Reisen einfach: zwei Wochen im Sommer, immer zur gleichen Zeit, immer mit dem Auto. Der Arbeitgeber gab den Takt vor, die Familie die Richtung.

2025 ist Mobilität ein Puzzle, bei dem kaum ein Teil zum anderen passt. Urlaub im eigenen Land ist für Besserverdiener. Der Rest verteilt sich ziemlich ungleichmäßig auf Billigflieger, Workation, Sanifair, Wohnmobil und SUVs mit rüstigen Senioren, die sich mit E-Bikes auf dem Fahrradträger auf der Mittelspur erholen. Aber gerade in diesem Jahr zeigt sich: Der Süden ist kein Selbstläufer mehr. Wer heute reist, muss planen wie ein Schachspieler:

  • Ist es dort noch schön?
  • Gibt es Schatten?
  • Gibt es Wasser?
  • Brennt es gerade im Übermaß?
  • Gibt es eine Klimaanlage, die nicht nur lärmt, sondern kühlt?

Die Schneiders wägen ab. Sabine will das Meer. Thomas will Ruhe. Lea will gutes WLAN. Moritz will nicht mitfahren, aber auch nicht alleine zu Hause sterben. Also: Kompromiss. Ab in den Apennin. Kleine Ferienwohnung. Viel Schatten. Keine Touristenbusse.

Kapitel 5: Das Wiedersehen mit der Strada

Sie fahren los. Diesmal nicht im Kadett, sondern in einem Hybrid-Kombi. Navi an, Klimaanlage auf „Arktis Light“ und die Spotify-Playlist „Italo Vibes“. Die Familie singt laut und begeistert Gianna Nanninis „America“ mit – solange, bis Moritz den Text googelt und schlagartig peinliche Stille einkehrt. Und trotzdem: Es kommt ein Gefühl hoch. Irgendwas zwischen Nostalgie und Sonnenstich.

Die Strecke ist noch immer schön. Alpen, Tunnel, Lago di Garda (kurzer Stopp). Die Namen auf den Schildern sind die gleichen. Nur die Tankstellen sind moderner, und der Kaffee schlechter.

Sie erreichen ihre Unterkunft. Schatten. Bäume. 28 Grad. Leise Grillen. Irgendwo plätschert eine Quelle. Kein WLAN. Lea ist kurz vorm Nervenzusammenbruch – dann fügt sie sich. Der Urlaub beginnt.

Kapitel 6: Erinnerung und Zukunft

Am Abend sitzen sie auf der Terrasse. Ein Gläschen Wein, Zikaden, Fernblick. Thomas zeigt auf dem Handy ein altes Foto: Er als Kind, an einem italienischen Strand. Dünn, braun, glücklich.

Und vielleicht ist das das Fazit dieser Reise: Dünn war einmal, braun ist out und die Strada del Sol ist nicht mehr nur ein Weg in den Sommer. Sie ist ein Spiegel für das, was sich verändert. Klima, Lebensstil, Familie.

Aber sie ist auch eine Erinnerung daran, dass Reisen mehr ist als Ortswechsel. Es ist ein Blick zurück. Und nach vorn. Und manchmal einfach nur ein Weg raus aus der Hitze.

Epilog

Zwei Wochen später. Frankfurt. Immer noch heiß. Doch die Schneiders sind gelassen. Vielleicht, weil sie wissen: Die Sonne ist keine Flucht mehr, sondern ein Umstand.

Und die Strada del Sol? Die bleibt. Nicht als Straße, sondern als Idee. Als Versprechen. Als Erinnerung.

Und der Plan für den nächsten Sommer? Vielleicht Schweden. Oder Island. Oder in den Taunus. Mit Schatten. Und WLAN.


Frank Krupka
Fotos von Annie Spratt auf Unsplash

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