Stephen Colbert – Schluss mit lustig
Traditionell gab es an jedem Königshof mindestens einen Hofnarren. In der Jobbeschreibung fanden sich Begriffe wie „Schalk“, „den Herrscher unterhalten“ und gelegentlich auch: „ihm den Spiegel vorhalten“. Mitglieder dieses Berufsstands mussten sich nicht mit Fragen der Kranken- oder Altersvorsorge herumschlagen – am anderen Ende eines misslungenen Späßchens warteten meistens Guillotine, Galgen oder Kerker. Letzte Woche hat es Stephen Colbert und seine Late Show erwischt …
Kein Wunder also, dass der aufstrebende rechtsradikale Diktator der absteigenden Supermacht im Westen verdächtigt wird, den beliebtesten Late-Night-Host der USA zum Schweigen gebracht zu haben. Denn unter der zentimeterdicken Schicht oranger Schminke lässt sich kaum verbergen, wie dünnhäutig er tatsächlich ist – und wie schnell er vor Wut platzt, wenn man ihn kritisiert.
Und für alle, die sich fragen, ob es für den Präsidenten einer Atommacht sinnvoll ist, eine Late-Night-Show absetzen zu lassen: Macht irgendetwas Sinn, das mit dem selbsternannten Genie, Serienbankrotteur und schamlosen Gewohnheitslügner zu tun hat? Aha!
Eigentlich ist es fast schon egal, ob die „Late Show“ als Schmiergeld für eine Fusion geopfert wurde oder ob die Zeit dafür wirklich reif war, weil die Einnahmen beständig weniger wurden. Diese sanken allerdings nicht nur im Segment, sondern im gesamten Medium – und werden dies auch weiterhin tun –, während Colberts Quote Spitzenklasse war.
Die Absetzung trifft die Branche, das Medium, die Gesellschaft, die Gewohnheiten. Die gute alte Zeit ist vorbei – zieht euch warm an. So könnte man den Vorgang interpretieren. Aus Entertainer-Sicht und politisch. Denn Stephen Colbert war mit spitzer Zunge, gebildeter Ausdrucksweise und fast schon intellektuellem Witz die Speerspitze des demokratischen Widerstands gegen den zunehmenden Rechtsruck im Land der unbegrenzten „Mass Shootings“. Und gleichzeitig ein unübersehbares Symptom der gesellschaftlichen Spaltung – genau wie Trump, nur eben auf der anderen Seite.
Die Entwicklung der „Late Show“ – von dem im Rückblick politisch fast schon zahmen und angepassten Urvater David Letterman über den anfangs zurückhaltenden, subtil kritisierenden Stephen Colbert bis hin zum Colbert der Jetztzeit, der mit beißendem Spott, verpackt in spitzbübisches Auftreten, hart und herablassend kritisierte – vollzog sich parallel zur politischen Stimmungslage im Land. Da hat sich der Comedian dem Zeitgeist angepasst – ob bewusst, berechnend oder aus Überzeugung, ist dabei egal.
Ein Stephen Colbert aus den Anfangstagen des „Colbert Reports“ war zwar schon parteiisch, dabei aber smart und manierlich. Dieser Stephen wollte gemocht werden – und das merkte man.
Derselbe Stephen Colbert rief am 21. Juli in seiner zweiten Show nach der Absetzung dem Präsidenten der Vereinigten Staaten ein unmissverständliches „Go f#ck yourself“ zu. Dafür applaudieren ihm deutlich mehr als die Hälfte der US-Amerikaner – und fast die gesamte Welt. Insbesondere die Kanadier stehen vermutlich kurz davor, ihn zum Ehrenbürger zu machen.
Good night, Late Night
Zehn Monate bleiben uns noch mit der „Late Show“ – dem Leuchtturm einer Institution, die in Zeiten des linearen Fernsehens traditionell den Tag beendete. Wenn man noch nicht schlafen gehen konnte, wurde man bei den Late Night Shows eigentlich immer fündig. Intellektuell eher leicht, ein bisschen politisch, ein bisschen witzig – und Musik war auch dabei. Statt in einer dunklen Kneipe hilflosen Stand-up-Aspiranten beim Scheitern zusehen zu müssen und dabei wertvolle Abende mit Fremdschämen zu verschwenden, war die erste Garde umsonst und bequem im TV zu sehen.
Und das Format war leicht zu erlernen. Zuerst kam immer der Monolog – die Paradedisziplin für Stand-up-Comedians, dann der Talk-Gast und zwischendurch ein bisschen tagesaktuelle Musik.
David Letterman – der Vorgänger von Stephen Colbert als Host der Late Show – war hier nicht der Pionier, aber der erste für Boomer interessante Moderator. Johnny Carsons „Tonight Show“ war die erste Late-Night-Show der Welt. Hier übernahm 1992 Jay Leno nach Johnnys Ausscheiden in den Ruhestand. Beide eher unterhaltend als aufregend.
Letterman startete 1982 mit „Late Night“ auf NBC, bevor er 1993 mit der „Late Show“ zu CBS wechselte – deutlich politischer und unberechenbarer als Carson. Als Stephen Colbert 2015 übernahm, war die Fraktion der engagierten, Barcalounger-basierten Feierabend-Politik-Strategen allerdings anfangs wenig angetan. Er musste sich erst warmlaufen. Erst als Trump 2016 gewählt wurde, war Colbert in seinem Element – und die Sache nahm Fahrt auf.
(Hier versteckt sich übrigens eine Reminiszenz an die gute alte Fernsehzeit. Wer mag, googelt „Barcalounger Friends“ und macht sich dann ein paar schöne Monate beim Bingen der schönsten Serie der Welt. [Dies ist ein privat-emotionales Rating und spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.])
Was können wir erwarten?
Für den Präsidenten und die Verantwortlichen wird sich das Ganze wahrscheinlich als schlechter Move herausstellen. Er ist abgesetzt, aber man hat ihn am Leben gelassen – sagt Colbert selbst. Das klingt nach: ohne Filter, ohne Kontrolle. Wir können davon ausgehen, dass es jetzt erst richtig losgeht.
Die gute Nachricht dabei: Jetzt hat auch der letzte Wechselwähler verstanden, dass es um alles geht. Zwar erreichte Colberts Witz eher die linken Intellektuellen – aber trotzdem ist damit wahrscheinlich das Fass übergelaufen. Was die Empörung über Elons DOGE nicht geschafft hat, was der Krieg mit Harvard nicht erreicht hat, was das Abschaffen der Institutionen nicht bewirken konnte, was die „Big Bad Bill“ nicht an Hoffnung zertrümmert hat: Schlage einem Amerikaner die Chips-Tüte aus der Hand – und er wird nachdenklich. In einem Land, in dem die wichtigsten Entscheidungen mit der Fernbedienung getroffen werden, kann man sich in Sachen Entertainment nicht alles erlauben! Vielleicht dämmert es jetzt der unentschlossenen Mittelschicht, dass die Party vorbei sein könnte, wenn man nicht langsam etwas unternimmt.
Ich freue mich auf einen völlig entfesselten und von allen Vorsichtsmaßnahmen befreiten Weltklasse-Comedian.
Nachtrag:
Wie geht der Krieg gegen die Medien weiter? Unangenehme Journalisten dürfen nicht mehr in die Air Force One oder werden mit der sprachlichen Gewandtheit eines Sechstklässlers vor laufenden Kameras beschimpft. Der Rest hat sich erstaunlich schnell angepasst: Das amerikanische Fernsehen – speziell die Nachrichtensendungen – spielen scheinbar Episoden aus „1984“ nach. Auf Amateurniveau. Gestern noch kritische Moderatoren hören jetzt todernst offensichtlichen Lügen, Rassismus und der Hetze rechter Politiker zu, ohne mit der Wimper zu zucken, zu lachen oder ein korrigierendes Wort zu sagen.
Es gibt Ausnahmen – und wir drücken der sympathischen, liebenswerten, vorlauten, extrovertierten, frechen, energischen Stephanie Ruhle die Daumen, dass sie noch möglichst lange durchhält, uns Wirtschaft und Börse erklärt und ihr Maskenbildner sie nicht davon abhält, uns immer wieder mit krassen Frisuren und genauso frechen Klamotten vom Ernst der Lage abzulenken. Die Sendung heißt passenderweise „The 11th Hour“ – und in Amerika ist es schon später als fünf vor zwölf. Merke: Widerstand ist sexy!