Weekend Update: Medium der Woche – das Buch

von | Juli 17, 2025

Dieser Text sollte eigentlich viel früher fertig sein. Aber zwischen dem ständigen Wetter-App-Check („Reicht’s fürs Schwimmbad?“) und der E-Mail, dass irgendjemand im Sommerurlaub ist, habe ich den Faden verloren – und mir stattdessen ein kurzes YouTube-Video über Arm-Bein-Koordination beim Brustschwimmen gegönnt.

Drei Stunden und gefühlte hundert Videos später kam mir ein schrecklicher Verdacht: Stört das Internet vielleicht meine Konzentration? Also schnell mal gegoogelt – und tatsächlich: Jeffrey Epstein ist tot, aber die Story lebt weiter. Eine strubbelige Influenza im E-SUV hat im Winter Probleme mit der Reichweite und dem Ansteckmikrofon. Kaffee wird mit der French Press tatsächlich besser, wenn man das Wasser erst ein wenig abkühlen lässt. Nebenbei auf dem Tablet den besten Spruch des Tages gelesen: „Kann man Wasser eigentlich vorkochen? Dann müsste ich es morgen nur noch warm machen.“ Und schon war ich gutgelaunt auf dem Weg zum Abendessen.

Kennt ihr? Das würde mich beruhigen. Aber nur ein bisschen. Die Kognitionswissenschaftlerin Maryanne Wolf sagt nämlich, dass unter ständiger Ablenkung kritisches Denken, Empathie und Urteilskraft leiden (Wolf, Reader, Come Home, 2018; vgl. auch UCLA, 2020). Das gilt nicht nur für Social Media, wo das Unterbewusstsein dauernd auf die nächste Neuigkeit lauert und eben Gesehenes oder Gelesenes kaum noch verarbeitet. Auch beim Lesen am Bildschirm sind wir meistens nur auf der Suche nach Infos – tiefergehende Verarbeitung bleibt aus, Konzentration schwindet, das Gehirn baut ab (vgl. Welt, 2022).

Maryanne weiß zum Glück auch, was hilft. Und – Überraschung – es ist so ziemlich das Gegenteil unserer liebsten Zeitverschwendung: Einfach mal ruhig hinsetzen und ein Buch ganz bewusst lesen. Aber wie bringt man einen Social-Media-Junkie dazu, sich für 30 Sekunden zu konzentrieren, statt mit blutunterlaufenen Augen im TikTok-Strudel den neuesten Bewegtbild-Hype zu konsumieren?

Hier, kurzgefasst, ein paar Tipps, wie man sein Gehirn wieder dazu bringt, auch anspruchsvolle, tiefgründige Denkprozesse zu bewältigen. Klingt hart, ist aber kein Diss, sondern das Ergebnis unserer modernen Lebensweise: Neurologen nennen das „Use it or lose it“ – das Gehirn baut neuronale Schaltkreise ab, die länger nicht genutzt werden. Die gute Nachricht: Man kann sie wieder aufbauen (vgl. SpringerLink, 2021).

  1. Ein gedrucktes Buch lesen
    Klingt uncool und ein bisschen oldschool, macht aber Sinn. Am Bildschirm werden wir erstens ständig abgelenkt – und zweitens sind die Texte dort meist reine Informationssuche. Bücher dagegen: Geschichten, Welten, Kopfkino. Sie sprechen ganz andere Bereiche unseres neuronalen Netzes an als Newsfeeds oder Push-Nachrichten (vgl. Welt, 2022).
  2. Zweiter Schritt: Tiefer eintauchen mit Fokus und Struktur
    Wolf betont, dass unser Gehirn für das sogenannte „Deep Reading“ – also das konzentrierte, reflektierte Lesen – Zeit, Ruhe und Struktur braucht. Das gelingt am besten, wenn man sich bewusst für eine ungestörte Lesezeit entscheidet. Manche nutzen ergänzend auch ein Hörbuch zur Unterstützung – vor allem bei Sprachlernprozessen oder um den Zugang zu schwierigen Texten zu erleichtern. Entscheidend ist aber nicht die Kombination der Medien, sondern die Haltung: achtsames, entschleunigtes Lesen, das über bloßes Informationssammeln hinausgeht (vgl. Wolf, Reader, Come Home, 2018).

Wem das alles zu schnell geht: Maryanne Wolf hat dazu ein spannendes Buch geschrieben – „Schnelles Lesen, langsames Lesen. Warum wir das Bücherlesen nicht verlernen dürfen“ (Reader, Come Home, dt. Ausgabe bei Beltz 2019).

Maryanne Wolf (*1947) ist eine renommierte US-amerikanische Neurowissenschaftlerin und Psychologin. Seit Jahrzehnten erforscht sie die neuronalen Prozesse des Lesens – von kindlicher Lesefähigkeit über Dyslexie bis hin zu den Folgen digitaler Medien auf unser Leseverhalten. Wolf lehrte an der Tufts University und der UCLA, wo sie das Center for Dyslexia, Diverse Learners, and Social Justice leitet (UCLA Center for Dyslexia).


Frank Krupka

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