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So wichtig wie Klimaschutz

Januar 3, 2024
Buchtitel: Friederike Bauer und Katrin Böhning-Gaese: Vom Verschwinden der Arten. Der Kampf um die Zukunft der Menschheit.

Ein Buch über den Verlust an Biodiversität und wie wir das Ruder rumreißen könnten.

Ein Beitrag von

Friederike Bauer

Der Klimagipfel in Dubai, die sogenannte COP28, hatte ein paar Besonderheiten: Zum ersten Mal verankerten die Mitgliedstaaten den Abschied von den fossilen Energien im Abschlussdokument. Wenn auch noch vage und vorsichtig, so werteten doch Teilnehmer*innen und Beobachter*innen rund um den Globus genau dieses Faktum als Fortschritt. Etwas untergegangen ist dabei eine andere Sache, die ebenfalls ein Novum darstellt: Der Erhalt von Natur wurde endlich als das anerkannt, was er ist – mindestens so wichtig wie Klimaschutz. Im Schlussdokument ist entsprechend von den „verknüpften globalen Krisen“ Klimawandel und Biodiversitätsverlust die Rede, die man zusammen angehen müsse. Das ist neu.

Lange Zeit wurden diese beiden Themen getrennt betrachtet. Zwar gehen beide Verhandlungsprozesse auf den Nachhaltigkeitsgipfel von Rio 1992 zurück. Er brachte neben der Agenda21 auch eine Reihe völkerrechtlich bindender Konventionen hervor, darunter die Klimarahmenkonvention und die Konvention über biologische Vielfalt. Doch während sich die internationale Klimapolitik in der Folge stetig weiterdrehte, nahm die Entwicklung bei der Biodiversität einen anderen Verlauf.

Lange Zeit die „Stiefschwester“ der Klimapolitik

Die Tragweite des Themas war lange Zeit nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Das änderte sich schließlich mit dem Gipfel von Montreal im Dezember 2022, als die Staatengemeinschaft eine Rahmenübereinkunft für Biodiversität beschloss, ähnlich der Paris Übereinkunft zum Klimawandel aus dem Jahr 2015. Dort steht, dass die Menschheit bis zur Mitte des Jahrhunderts wieder „im Einklang mit der Natur“ leben soll. Um das zu erreichen, wurde diese Vision mit 23, zum Teil sehr konkreten Zielen unterlegt, die bis 2030 zu erreichen sind. Dazu zählt sehr prominent, 30 Prozent der Erde unter Naturschutz zu stellen und 30 Prozent degradierten Landes wiederherzustellen. Diese Ziele gilt es jetzt umzusetzen – auch für den Klimaschutz. Denn inzwischen ist klar, dass etwa ein Drittel der CO2-Minderung über natürliche CO2-Speicher wie Wälder oder Moore erreicht werden könnte.

Aber auch sonst spricht alles für einen zielgerichteten Erhalt von Biodiversität, sonst sägen wir uns als Menschheit den eigenen Ast ab, auf dem wir sitzen. Tatsächlich übernutzen wir die Natur in atemberaubendem und bisher nie dagewesenen Tempo, und zwar in sehr beschleunigter Weise seit ungefähr 70 Jahren. Wissenschaftler sprechen bereits vom 6. Massenaussterben. Inzwischen ist die Hälfte aller Ökosysteme massiv verändert, eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Seit kurzem gibt es auf der Erde mehr vom Menschen hergestelltes Material als Biomasse, nämlich Stoffe wie Beton, Asphalt, Metall, Plastik, Glas oder Papier. Eine Verschiebung von großer Tragweite.

Hauptursachen – die „Big Five“

Gründe dafür gibt es verschiedene, von denen die Landnutzung mit weitem Abstand an der Spitze steht. Der Mensch hat die Erdoberfläche im Laufe der Zeit stark modifiziert. Bei uns im globalen Norden ist es die industrielle Landwirtschaft, die gewissermaßen jeden Grashalm eliminiert hat und auf maximale Effizienz getrimmt wurde. Blühstreifen, Hecken oder gar Brachen sucht man häufig vergeblich; dadurch fehlen Insekten und Vögel Lebensraum und Nistplätze. Und in den Entwicklungsländern frisst sich die Landwirtschaft immer weiter in tropische Wälder, die Horte besonders reicher Vielfalt sind.

An zweiter Stelle kommt die Nutzung von Tieren und Pflanzen: Wir beuten viele Arten schneller aus, als sie sich fortpflanzen können: Das gilt zum Beispiel für Fisch und Holz. So entreißen wir der Natur jedes Jahr unvorstellbare sechzig Milliarden Tonnen an Ressourcen – etwa doppelt so viel wie noch vor vierzig Jahren. Danach kommt bei den Ursachen lange nichts und dann der Klimawandel. Seine Auswirkungen sind derzeit noch begrenzt, aber das wird sich ändern. An vierter Stelle der „Big Five“ steht die allgemeine Verschmutzung der Umwelt, von Pestiziden auf Feldern, Chemikalien in Flüssen bis zum Plastikmüll im Meer. Und schließlich als letzte Ursache können gebietsfremde und invasive Arten der Vielfalt zusetzen, das trifft zum Beispiel auf die Zebramuschel oder die Pazifische Auster zu.

Nicht hilflos ausgeliefert

Doch dagegen können wir etwas tun. Wir sind dieser Entwicklung nicht hilflos ausgeliefert. Das zeigen verschiedene wissenschaftliche Modelle. Allerdings muss das Thema dafür raus aus seiner Nische und zu einem politischen Top-Thema werden. Genau darin liegt die Absicht des Buches „Vom Verschwinden der Arten“ – mehr Bewusstsein schaffen für die – politische – Bedeutung von Biodiversität. Dafür ziehen wir (die Professorin Katrin Böhning-Gaese und ich, die Journalistin Friederike Bauer) Bilanz, zeigen auf, wo wir stehen, wie dramatisch der Naturverlust ist und wo die Ursachen liegen. Und: Wir präsentieren auch Lösungen.

Dazu gehört als Fazit am Ende ein Zehn-Punkte-Plan der wichtigsten Maßnahmen, um so schnell wie möglich eine Kehrtwende zu erreichen. Zu ihnen zählen Aktivitäten auf politischer Ebene wie: 30 Prozent der Erde unter Schutz stellen; den Anteil des Ökolandbaus bis 2030 global auf 25 Prozent erhöhen, derzeit liegt er bei 1,5 Prozent; naturschädliche Subventionen zum Beispiel für die Landwirtschaft, für fossile Energien oder Dienstwagen zurückfahren. 

Jede und jeder kann etwas beitragen

Aber auch jede und jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten, unter anderem durch einen radikal geringeren Fleischkonsum von höchstens 300 Gramm pro Person und Woche, von möglichst geringer Verschwendung von Lebensmitteln und durch grüne Balkone, Gärten, Seitenstreifen, Hinterhöfe, die liebevoll, aber nicht übertrieben akkurat gepflegt werden.

Reißen wir das Ruder rum, sichern unsere Zukunft, setzen neue Prioritäten in Politik, Wirtschaft – und in letzter Konsequenz bei uns allen, indem wir der Natur wieder mehr Raum geben und damit gleichzeitig auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Friederike Bauer und Katrin Böhning-Gaese: Vom Verschwinden der Arten. Der Kampf um die Zukunft der Menschheit. Klett-Cotta Verlag. Stuttgart, 2023. ISBN: 978-3-608-98669-3; 2. Preis beim Wissensbuch des Jahres.

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