Die Weisen aus dem Guten-Morgen-Land

von , | Dez. 19, 2025

Drei Studierende teilen sich Pizza und Snacks auf dem Sofa – eine Szene aus der humorvollen Weihnachtsgeschichte über WG-Leben, Familienchaos und stille Besinnlichkeit in Göttingen.

Eine Weihnachtsgeschichte über drei Studierende, 48 Halbgeschwister und strukturierte Besinnlichkeit.

Göttingen, kurz vor Weihnachten. Im zweiten Stock eines leicht schiefen Altbaus nahe des Campus leben drei Studierende, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Was sie verbindet: eine WG, ein liebloser Adventskranz, und die leise Vorahnung, dass es bald wieder soweit ist.

Yannick, Marina und Kevin sitzen mit glasigen Augen in der überheizten WG-Küche (Nebenkosten sind in der Miete enthalten) und frühstücken. Um sie herum türmen sich leere Club-Mate-Flaschen und die Kartons der Pizzabestellungen des laufenden Semesters. An der Wand über dem IKEA-Tisch hängt der super witzige Carponizer-Kalender, auf dem das traurige Datum, der 22. Dezember, zu erkennen war.

Yannick rührt seinen kalten Kaffee um. „Leute, in zwei Tagen ist Weihnachten“.

„Kein Bock auf den Stress“, antwortet Kevin.

„Ich auch nicht“. Marina tippt „Ich freu mich auf euch <3“ in die Familien-Whatsappgruppe. Heimlich.

Yannick – Der Coder

Yannick, 24, studiert Informatik und lebt in einer Welt, in der Weihnachten eigentlich ganz okay wäre, wenn nicht jedes Mal diese soziale Interaktion dazwischenfunken würde. Seit sein Vater gestorben ist, als er zehn war, findet er Wärme eher durch den überhitzten Gaminglaptop beim Zocken von Videospielen als in anderen Menschen. Sein Vaterersatz? Joel Miller aus „The Last of Us“.

Yannick plant ein ruhiges Fest mit seiner Mutter. Die ist nett, verständnisvoll, manchmal ein bisschen verpeilt – und leider seit einem Jahr mit einem Mann namens Wolfgang zusammen, der immer Crocs mit Socken trägt und nach Salbei riecht.

Wolfgangs Spezialität: lange, selbstinitiierte Monologe über E-Bikes.

Yannicks Strategie: Passives Weggucken und rauchen gehen. Alle 30 Minuten.

Er weiß, dass seine Mutter irgendwann an Heiligabend Pizza beim Italiener um die Ecke bestellt, „weil das mit dem Weihnachtsessen immer so stressig ist“ – und sich dann „noch kurz zu den Nachbarn“ verabschiedet. Wolfgang muss mit und Yannick bleibt allein zurück, mit Pizza Funghi, einem aufgeklappten Laptop und dem sicheren Gefühl, dass ihn niemand belästigt, wenn er auf Steam „offline anzeigen“ anklickt.

Kevin – Der Planer

Kevin ist 23, gebürtiger Göttinger und studiert Soziologie oder wie seine Mutter sagt: „Was mit Menschen“. Er hat sich seine Semesterferien anders vorgestellt, als sich über die Weihnachtsfeiertage in alle Himmelsrichtungen aufzuteilen – am Besten sollte er überall sein, und das auch noch gleichzeitig. Denn sein Vater hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Definition von „Patchworkfamilie“ regelmäßig in neue Sphären zu katapultieren. Papi ist zweimal geschieden, was sich rein rechnerisch in drei mütterähnliche Instanzen, zwei Ex-Schwippschwägerinnen, vier angeheiratete Omas und exakt 48 Halbgeschwister übersetzt. Und alle möchten, nein: erwarten, besucht zu werden. 

Als Soziologiestudent hat er einen leichten Hang zu Excel-Tabellen, die ihm bei dem wahrscheinlich komplexesten Logistikproblem seines Lebens helfen sollten. Kevin versucht eine Liste anzufertigen, wie er mit möglichst geringen Umwegen all seine Familienmitglieder zu Gesicht bekommen kann. Derselbe Kevin, der sich nie so recht entscheiden kann, ob er vor der Vorlesung zu ALDI geht oder nachher beim Bäcker hält und dann doch regelmäßig bei Peters-Pommes-Pörno futtert. Die Weihnachts-Reisetournee überschreitet seine Fähigkeiten, selbst SPSS und Stata können ihm nicht dabei helfen, die Wahrscheinlichkeit einer geglückten Planung zu berechnen.

Doch zum Glück hat Kevin seinen WG-Mitbewohner Yannick, der kein Nein akzeptiert, wenn es um das Coden von Lösungen geht. Yannick hängt zwar mit dem Küchendienst ein paar Tage hinterher, hat ihm aber dafür – und ein bisschen aus Mitleid – ein kleines, nerdiges Weihnachtswunder programmiert: ein Besuchsplaner mit voreingestellten Routen mit möglichst schöner Landschaft, Pausenfunktion für Kaffee, Tanken und „menschliche Grundbedürfnisse“ sowie eine feinstkuratierte Playlist in der exakten Dauer der Fahrtzeit.

Die Route: 1.400 Kilometer an drei Tagen. Sie führt von Göttingen über Kassel nach Bottrop, dann kurz in den Süden nach Mannheim und zurück nach Hessen, wo er einen Großteil der Kilometer in der alten Heimat Wiesbaden und Umgebung verballert – und dann zurück nach Göttingen. Yannick hat gleich noch eine kleine Budgetplanung draufgelegt: Wenn Kevin dreimal wildpinkeln geht und Tante Ilses Gästeklo nutzt, kann er sich zweimal Sanifair und einen Kaffee gönnen. Oh, du fröhliche … 

Club-Mate-Flaschen im Kühlschrank einer Studierenden-WG – Symbol für den Alltag in der Weihnachtsgeschichte über drei ungleiche WG-Mitglieder kurz vor Heiligabend.

Marina – Die Glückliche 

Marina, 22, ebenfalls angehende Soziologin und der lebende Beweis dafür, dass entspannte Weihnachten tatsächlich existieren. Sie stammt aus der wahrscheinlich glücklichsten Familie Deutschlands. Ihre Eltern Klaus-Peter und Jutta leben mit dem kleinen Bruder Jonathan in einem Haus am Stadtrand, das von außen genauso harmonisch blond wirkt wie Jutta nach dem Friseurbesuch am 23ten. Jedes Jahr. Es ist einfach beruhigend, wenn man sich in diesen schlimmen Zeiten auf etwas verlassen kann, sagt Ihr Friseur seit 1998. In dieser Familie gibt es zwar keine psychologischen Altlasten, aber dafür einen unfassbar süßen Familienhund namens Karl. Und Plätzchen!

Weihnachten bei ihnen verläuft verlässlich:

  • 17:00 Uhr: Kartoffelsalat mit Würstchen, wie immer
  • 17:40 Uhr: Bescherung
  • 17:44 Uhr: Du, das kannste Umtauschen. Ich hab die Rechnung noch …
  • 18:12 Uhr: Alle schlafen auf dem Sofa ein, während Aschenbrödel läuft
  • 22:07 Uhr: Hund Karl kratzt an der Tür, weil er Gassi muss

Niemand geht zur Christmette. Niemand diskutiert über Gendersternchen. Dass Jonathan vegane Würstchen essen möchte, ist vollkommen in Ordnung, Papa findet die sogar fast besser als die „echten“. Es gibt Apfelschorle, Bier und ein bisschen Sekt zur Tagesschau. „Wirtschaftlich könnt’s besser laufen, aber okay, Politiker sind ja auch nur Menschen. Die tun was sie können“. Alle nicken. 
Marina weiß, dass sie gesegnet ist – und behält es vorsichtshalber für sich, um Kevin und Yannick nicht zum Weinen zu bringen.

Die Moral der Weihnachtsgeschichte

Weihnachten kann ein Fest der Freude sein. Oder der Logistik. Oder des Rückzugs. Oder halt einfach das, was man halt irgendwie jedes Jahr wieder durchzieht.

Die Wahrheit ist: Nicht jede*r hat eine Marina-Familie mit einer traumhaften Stimmung unterm Weihnachtsbaum, die in einem geruhsamen Kollektivschlaf mündet. Manche haben eine komplizierte Familie, andere „nur“ essen vom Lieferdienst oder werden in die Kirche gezwungen, WEIL MAN DAS EBEN SO MACHT AN WEIHNACHTEN! Viele haben vor allem eines: einen müden Kopf und das Gefühl, funktionieren zu müssen.

Für den sonderbaren Fall, dass du eine Marina-Familie hast: genieß es! Hab eine wunderbare Zeit, schlag dir das Bäuchlein mit Unmengen an Leckereien voll und freu dich über deine liebevoll ausgewählten Geschenke. Und falls du einen Familienhundi hast, kannst du ihn gerne eine Extraportion Streicheleinheiten von uns geben.

So oder so:

Lass Weihnachten nicht zum Pflichtprogramm werden. Kein Mensch muss überall gleichzeitig sein, mit den Errungenschaften des Jobs glänzen, die besten Plätzchen backen oder die Weihnachtssongs mitsingen, auch wenn du’s eigentlich gar nicht fühlst. Du darfst absagen. Du darfst Pause machen. Und du darfst dich wichtig nehmen – gerade dann, wenn alle von „Besinnlichkeit“ sprechen und damit eigentlich „fucking Chaos“ meinen.

Passt auf euch auf!

Frohes Fest.


Weihnachten kann manchmal ganz schön tricky sein. Wenn du jemanden zum reden brauchst und deine engen Kontaktpersonen durch die Feiertage nicht so gut erreichbar sind, kannst du anonym und kostenlos auf diesen Wegen mit jemandem quatschen:

Telefonseelsorge:
– Telefonische Beratung 0800 111 0 111 / 0800 111 0 222 / 116 123
Chat oder Persönliches Gespräch

Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche:
– Telefonische Beratung unter 116 111

Nummer gegen Kummer für Eltern:
– Telefonische Beratung unter 0800 111 0 550

Silbernetz – für Menschen ab 60 Jahren:
– Telefonische Beratung unter 0800 4 70 80 90

Krisenchat:
Chat mit Psychotherapeut*innen, Sozialpädagogen*innen und anderem ausgebildeten Personal

Und wenn du zufällig in Göttingen bist und Hunger hast:

Pizzaland Göttingen
– 0551 379 1980

PiPaPo Göttingen
– 0551 999 68996


Chrissy, Frank

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