Das Internet – die größte kohlebetriebene Maschine der Welt

Februar 22, 2024

Das Internet benötigt Unmengen Strom. Eine Tatsache, die bei Konzepten über Nachhaltigkeit gerne übersehen wird.

Ein Beitrag von

Dr. Torsten Beyer

Der 29. Oktober 1969 gilt als Geburtsstunde des Internets. Damals wurden in Kalifornien erstmals Daten zwischen zwei Computern ausgetauscht. Was anfangs nur als Kommunikationsmedium für ein paar IT-Nerds begann, erlebte spätestens 20 Jahre später mit dem Launch des ersten Web-Browsers den entscheidenden Push, um zum zentralen Informations- und Kommunikationsmedium für uns alle zu werden. Diese Entwicklung hat sich mit dem Aufstieg Sozialer Medien in den 2000er Jahren und KI-Anwendungen in jüngster Vergangenheit noch weiter verstärkt, mit exponentiellen Wachstumsraten bei Nutzern, Endgeräten, Netzinfrastruktur und Rechenzentren.

Die Kehrseite der Medaille, der damit einhergehende immense Strom- und Ressourcenverbrauch, wird jedoch bis heute weitgehend ausgeblendet. Wahrscheinlich, weil er für uns im Gegensatz zur damals überall spür- und sichtbaren Umweltverschmutzung durch die Industrialisierung nicht wahrnehmbar ist. Dazu kommen Datenflatrates, die es für die Nutzer unerheblich machen, wie viele Daten über welche Distanz übertragen werden. Ganz zu schweigen vom Energie- und Rohstoffverbrauch bei der Herstellung neuer Endgeräte.

Wir kennen zwar Bilder von Kindern, die Rohstoffe wie Coltan unter Lebensgefahr aus schlecht gesicherten Minen holen oder das Kupfer aus Drähten und Platinen herauslösen. Aber dafür fühlen wir uns genauso wenig verantwortlich wie für die Weiterverarbeitung der Rohstoffe und die Produktion der Endgeräte, die wir wegen billiger Arbeitskräfte und geringen Umweltauflagen nach Asien ausgelagert haben. Damit blenden wir alle Probleme in der Lieferkette aus. In unseren Online-Shops und Ladenlokalen sehen wir nur die ansprechend präsentierten Endprodukte, auf denen sich kein Wort dazu findet, unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden.

Die Green Web Foundation hat das Internet zu Recht einmal als größte kohlebetriebene Maschine der Welt bezeichnet. Ein sehr anschauliches und passendes Bild, denn wir reden über Größenordnungen jenseits von einer Milliarde Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr. Würde man das Internet  als Land betrachten, käme es damit locker in die Top 5 der größten Stromverbraucher und CO2-Emittenten weltweit und wird schon in wenigen Jahren ganz vorne stehen, wenn wir keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergreifen. Der Anteil regenerativer Energien am verbrauchten Strom liegt in Deutschland zwar inzwischen über 50 Prozent, aber global gesehen liegen wir im Bereich Hosting nur bei 15 Prozent. Daher ist das Bild der kohlebetriebenen Maschine mehr als berechtigt.

Oft wird eine bessere Digitalisierung als Allheilmittel gegen den Klimawandel verkauft. Natürlich existieren viele sinnvolle Ansätze zur Optimierung von Prozessen und zur Einsparung von Ressourcen, allerdings führen Rebound-Effekte bei technischen Innovationen bisher immer zum Gegenteil: einer weiteren Zunahme der Nutzung, dem Kauf immer mehr und leistungsfähigerer Endgeräte und damit einer weiteren Zunahme des Strom- und Ressourcenverbrauchs. Ein echter Teufelskreislauf.

Generell werden Lösungen auch dadurch erschwert, dass es sich wie beim Klimawandel um ein globales Problem handelt und regionale Maßnahmen vermeintlich wenig bringen. Doch es gibt praktikable Lösungen für jedes Unternehmen, ja auch für jeden Einzelnen von uns. Und auch die Politik hat viele Gestaltungsmöglichkeiten, die sie aktiv nutzen kann und muss.

Endgeräte – Unscheinbare Energiefresser

Die effektivste Möglichkeit zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs ist eine längere Nutzungsdauer oder der Kauf gebrauchter Endgeräte. Oder zumindest der Kauf nachhaltigerer Produkte, die längere Software-Updates garantieren. Positiv wirkt sich natürlich auch der eingesetzte Strom aus, wenn er aus regenerativen Energiequellen stammt oder im Idealfall sogar selbst produziert wird.

Die Europäische Union hat hier in jüngster Zeit einige positive Impulse gesetzt mit dem Recht auf Reparatur und Updates, die Vereinheitlichung von Schnittstellen und ab 2025 mit der Einführung eines Energieeffizienzlabels wie bei anderen Elektrogeräten. Zumindest haben Konsumenten dann deutlich mehr Informationen vor dem Kauf neuer Geräte als bisher. Aktuell sind kaum Vergleiche möglich, weil Daten – sofern sie überhaupt vorhanden sind -mit unterschiedlichen Verfahren von den Herstellern selbst erhoben werden.

Rechenzentren – Die unsichtbaren Giganten

Neue Rechenzentren schießen aktuell wie Pilze aus dem Boden, um die immer größeren Datenmengen aufzunehmen und jedem rund um den Globus dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Seit 2016 leben wir im Zettabyte-Zeitalter (1 Zettabyte = 1 Milliarde Terabyte). Aktuell liegen wir bei geschätzten 120 Zettabyte an Daten bei einem exponentiellen Wachstum. Wie bei einer Glühbirne geht ein großer Anteil der verbrauchten Energie als Abwärme verloren, dabei könnte sie sinnvoll genutzt werden, statt ihre Umgebung aufzuheizen. Das ist insbesondere in Städten fatal. Dass es anders geht zeigen Pilotprojekte wie das Heizen benachbarter Hallenbäder.

Experten schätzen, dass bis zu 85 Prozent aller aktuell im Internet gespeicherten Daten niemand mehr braucht. Ein enormes Einsparpotential, aber wie will man ein dezentrales globales Netz ausmisten? Aktionen wie der „Digital Cleanup Day“ wollen das Bewusstsein dafür fördern, sind aber nur Insidern bekannt. Mehr Hoffnung darf man auf die für immer mehr Unternehmen greifende CO2-Bilanzierung setzen, denn durch Löschen und Abschalten ungenutzter Server lässt sich dann Geld sparen. Und man kann darüber in seinem Nachhaltigkeitsbericht informieren.

Aber natürlich kann auch jeder Einzelne einfach ein bisschen aufräumen, indem er überflüssige Daten in Clouds löscht oder auf feste Speichermedien auslagert.

Netzinfrastruktur – Die Adern des Internets

Die Netzinfrastruktur bildet das Rückgrat des Internets und hat einen Anteil von 14 Prozent an den resultierenden CO2-Emissionen. Doch auch hier gibt es Herausforderungen und Potentiale in Bezug auf Nachhaltigkeit.

Glasfaserleitungen sind die effizienteste und schnellste Übertragungstechnik gefolgt von Kupferkabel. Mobile Datenübertragungen (3G, 4G) waren bisher deutlich energiefressender, mit der 5G-Technik hat sich der Abstand zu den kabelgebundenen Übertragungen deutlich reduziert.

5G erfordert allerdings ein sehr engmaschiges Netz von Funkmasten, was den Effizienzgewinn zum Teil wieder kompensiert. Hier ist die Politik gefordert, den Glasfaser- und 5G-Ausbau voranzutreiben. Wenn allerdings kein bewussterer Umgang mit Daten erfolgt, werden auch hier alle Einsparungen wieder durch Rebound-Effekte überkompensiert.

Hardware – Das Eingangstor in die Digitale Welt

Hardware ist unerlässlich und für 19 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Viele Menschen haben heute eine Vielzahl internetfähiger Endgeräte, nicht wenige schon mehr als 10 mit weiter steigender Tendenz. Hier effiziente Recycling-Strukturen und eine längere Nutzungsdauer zu ermöglichen ist eine große Herausforderung und ohne Vorgaben der Politik ein Kampf gegen Windmühlen. „Software ist der Hardware Tod“ ist seit Jahrzehnten bittere Realität, aber bisher bemüht sich kaum ein Anbieter um effizientere Software, stattdessen wird der Kauf neuer Hardware empfohlen. Die Einführung von Windows 11 ist ein exemplarisches Beispiel, wie es zukünftig nicht mehr gehen darf. Denn die allermeisten PCs erfüllen die überzogenen Hardware-Vorgaben nicht und laufen daher noch mit Windows 10.

Nachhaltigkeit am Beispiel von Webseiten

Am Beispiel von Webseiten, die heute die allermeisten Unternehmen und Selbständige als Marketing- oder Verkaufsinstrument nutzen, können einige Potentiale exemplarisch aufgezeigt werden.

Das allgemein anerkannte Sustainable Web Design Model aus dem Jahr 2019, das in verschiedenen Kalkulatoren zur Abschätzung der Klimafreundlichkeit von Webseiten verwendet wird, teilt die resultierenden CO2-Emissionen anteilig in vier Segmente auf: Endgeräte (52 Prozent), Rechenzentren (15 Prozent), Netzinfrastruktur (14 Prozent) und Hardware-Produktion (19 Prozent).

Echte grüne Hoster legen die Herkunft des eingesetzten Stroms zum Betrieb ihrer Rechenzentren offen und informieren auch über alle weiteren Maßnahmen, die sie zum Einsparen von Kühlwasser, zur Verlängerung der Nutzungsdauer und dem Verbleib ausgetauschter Hardware ergreifen. Leider fehlt hier oft die Transparenz, weil es keine klaren Kriterien oder ein Energieeffizienzlabel analog zu Endgeräten gibt. So darf sich auch jeder „green hosted“ nennen, der Strom aus fossilen Energieträgern nutzt und dafür Kompensationszertifikate oder Herkunftszertifikate in Skandinavien einkauft. Das kann man leider nur als Greenwashing bezeichnen, was den Klimazielen kaum nützt.

Bei der Gestaltung von Webseiten sollten alle überflüssigen Datenübertragungen vermieden werden, da jedes übertragene Gigabyte nach dem Sustainable Webdesign Model im Mittel mit 360 Gramm CO2-Emissionen zu Buche schlägt. Das bedeutet unter anderem den Verzicht auf überflüssige Bilder, automatisch loslaufende Videos, ungenutzte Skript-Bibliotheken und vieles mehr.

Stattdessen sollte der Fokus auf den Betrachter gelegt und seiner lokale Software-Konfiguration Rechnung getragen werden. Dazu gehört ein responsives Design, das auf Mobilgeräten durch kleinere Bilder weniger Daten lädt. Oder das Anbieten eines optionalen Dark Mode, der bis zu 50 Prozent Strom an modernen Displays einsparen kann. Es gibt sogar experimentelle Lösungen, die aufgrund des eingesetzten Strommix auf Endgeräten die Auflösung und Größe von Bildern reduzieren. Hier gibt es viele Möglichkeiten für Webdesigner und Agenturen, um Webseiten nachhaltiger zu gestalten und Kunden solche Angebote zu unterbreiten. Denn bisher fehlt dafür noch weitgehend das Bewusstsein, obwohl eine nachhaltige Webseite viele Vorteile hat. Ein netter Nebeneffekt dabei ist, dass die Ladezeiten abnehmen, die Nutzerzufriedenheit steigt und auch ein kleiner Vorteil beim Ranking in Suchmaschinen entsteht. Hier kann jedes Unternehmen ansetzen, um einen positiven Beitrag zu leisten.

Digitale Nachhaltigkeit in der Praxis

Nachhaltigkeit kann jeder auch im digitalen – wie im echten Leben – in sein Handeln integrieren. Dazu muss allerdings noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, um die Folgen der globalen rund um die Uhr Verfügbarkeit von Daten und dem resultierenden Datenmüll zu verstehen. Generell braucht es dazu ein anderes Mindset als bisher, so wie es sich in vielen anderen Bereichen bereits etabliert hat.

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