Anika Nilles Einstieg bei Rush – Der heiße Stuhl der Woche ist ein Schlagzeughocker

von | Okt. 10, 2025

Anika NIlles joins Rush

Hier war was los, diese Woche. Und genauso sehen die Gedanken zur Playlist der Woche aus. Das wird ein Durcheinander, festhalten …  

Worum geht es? Im normalerweise Shitstorm-gebeutelten Social Web brachte es ein User sehr süß auf den Punkt: „Jetzt ist endlich sicher, dass mindestens ein Mädel auf dem RUSH-Konzert ist.“

Unnötiger Spoiler Alert, weil die Medien und das Web seit Tagen kein anderes Thema kennen: Die gebürtige Aschaffenburgerin Anika Nilles wird bei Rush für die Reunion-Tour hinterm Schlagzeug sitzen und Neil Peart ersetzen.

Warum uns das so nah geht. Warum wir finden, dass das die beste aller Besetzungen ist. Warum wir uns für Anika freuen wie ein Schnitzel – obwohl wir dadurch im Januar auf etwas verzichten müssen, auf das wir uns seit 40 Jahren freuen. Das mussten wir einfach aufschreiben. So viel mal vorneweg: es ist kompliziert …

Reunion der Woche – Rush

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Ist klar: wenn eine Kult-Band, von der ein Mitglied leider schon verstorben ist, eine Wiedervereinigung ankündigt, macht man sich so seine Gedanken …

Für Boomer ungewöhnlich: zuerst kam leichter Ärger auf. Muss man ganz ehrlich eingestehen. Hier ging es um nichts Geringeres als den Status der heiligen Ehe für Rockmusiker. Rush trennt sich nicht – niemand ist ersetzbar – und man bleibt Freunde fürs Leben … und darüber hinaus. Kaum eine Band symbolisiert den naiven Boomer-Glauben an eine heile Welt so überzeugend wie das kanadische Prog-Rock-Trio.

BTW: Unser kleine Vorliebe für kanadische Musiker haben wir hier schon mal ausgelebt. Ist übrigens Zufall und trägt nichts zum Thema. Auch nicht, wenn man weiß, dass eine LP von Neil „After the Gold Rush“ heißt.

Und jetzt? Eine Generation, die an die eigene Unfehlbarkeit glaubt, Kreuzzüge – sorry: „-fahrten“ – in ferne Länder unternimmt, um der ganzen Welt zu zeigen, dass beruflicher Eifer und Disziplin ein sorgloses Leben mit bunten Drinks in der Hand ermöglicht, fühlt sich betrogen.

Was Rush so besonders machte

Die ganze Rush-Karriere verlief wie im Bilderbuch: Drei Freunde und echt nette Jungs kamen durch Fleiß und Talent zu Weltruhm, blieben immer nahbar, bodenständig und nahmen sich selbst nicht so wichtig, wie unter Rockstars sonst allgemein üblich. Da standen gerne auch mal Waschmaschinen oder Hähnchengrills auf der Bühne, wo bei anderen Bands die zärtlich „Kühlschränke“ genannten 8×10-Boxenwände der Bassisten drohten.

Das Ende von RUSH geschah einvernehmlich und unspektakulär. Es gab keine dreckige Wäsche zu waschen (again: Waschmaschinen auf der Bühne), die Krankheit und der viel zu frühe Tod von Schlagzeug-Genie Neil Peart wurden nicht als Seifenoper durch die Medien geprügelt, sondern von seinen beiden ehemaligen Bandkollegen, dem Freundeskreis und der gesamten Fangemeinde diskret und stilvoll begleitet.

Und jetzt das! Brauchen die Kohle? Wohl kaum. Und außerdem: Niemand, absolut NIEMAND kann Neil Peart ersetzen!

Darüber sind sich auch alle Trommler-Kollegen einig. Stewart Copeland von Police wird in einem Rolling-Stone-Artikel mit den Worten zitiert, dass er leider damit leben muss, dass selbst seine Fans der Meinung sind: „You’re my second favorite drummer!“. Neil war auch unter Kollegen die Nummer #1.

Den kompletten, superlesenswerten Artikel über die letzten Jahre von Neil könnt ihr hier lesen: https://www.rollingstone.de/rush-neil-peart-portraet-2254465/

Wer sich dem Thema lieber vorsichtig visuell nähern will – oder als Spätgeborener neugierig ist, wie sich RUSH für die Boomer und Gen X anfühlt – sollte sich den Film „I love you, man“ (deutsch: „Trauzeuge gesucht“) mit Paul Rudd und Jason Segel reinziehen.   

Die gute, alte Zeit: Rock meets Prog meets Jazz meets Fun

Was der Film nicht optimal transportiert, ist die Offenheit der frühen RUSH-Jahre. Fans waren in den 1970er-Jahren und noch eine Weile danach nicht kriegerisch in feindliche Lager gespalten. Der RUSH-Fan strahlte zwar eine sanft angedeutete Überheblichkeit aus, weil seine Band „anspruchsvoll“ war, aber man konnte trotzdem kollektiv die super Texte mitgröhlen – übrigens geschrieben von Neil Peart.

Das öffnete Tür und Tor, um auf Parties gnädig AC/DC zu akzeptieren, oder beim ersten Date mit dem High-School-Crush damit zu prahlen, dass man ja gerne Jazz hörte. Z. B. George Benson und Pat Metheny – aber ganz besonders den um 1997 angesagten Al Di Meola. Angeblich lief „Land of the Midnight Sun“ bei jedem Teenager rauf und runter. Hier empfiehlt sich passend zum Thema des Tages „The Wizard“ mit dem Über-Trommler Steve Gadd.

Für viele unserer Generation quasi eine Einladung, auch mal etwas komliziertere Musik zu hören.

Al Di Meola: „Land of the Midnight Sun“

Hessen, wie es singt und lacht: Rodgau Monotones

Man war zu diesen Zeiten also in jeder Hinsicht flexibel.

Für die hessische Dorfjugend gestalteten sich die Wochenenden daher unglaublich abwechslungsreich: Am Freitagabend traf man sich in irgendeinem Jugendhaus, um die Rodgau Monotones zu feiern. Laut, lustig und immer gut druff – und die Band war auch irgendwie saugut. Da gab es keine Skrupel oder Berührungsängste. Es wurde gecovert, was das Zeug hält: von Queens „Tie your mother down“ und Johnny Winters „Bony Moronie“ in der Captured Live-Version mit dem wahnsinnigen Gitarren-Intro über „Country Roads“ bis zu „So lonely“. Und immer wieder ZZ Top.

Die Rückseite der ersten Single „Marmor, Stein und Eisen bricht“ schmückte der Titel „Das kann doch nicht wahr sein“, von dem unter Rodgauer Jugendlichen gleichzeitig die erste – noch englische – Version als Proberaum-Mitschnitt kursierte. „We ain’t got a chance, for a Hollywood romance“. In Retrospektive: eine irre gute Entscheidung, später ausschließlich deutsche Texte zu schreiben!   

Johnny Winter: „Captured Live“

Konzerte in dieser frühen Phase waren Brutstätte für gute Laune, Kreativität – und für unzählige neue Bands. In diesen Zeiten, als man den Mosh-Pit noch „Freundeskreis“ nannte, mischten sich Musiker und Publikum gerne. Wer eben noch in unfassbarer Qualität auf der Bühne gezeigt hat, was man ohne Netz und doppelten Boden auf handelsüblichen Instrumenten abziehen kann – wenn man genial ist – stand danach zum Quatschen an der Theke. Und endlich kam auch der Spaß zurück in die Musik. Hessische Coverversionen internationaler Hits nahmen der Virtuosität die Ernsthaftigkeit und eine solide „Macht doch einfach selber mal Musik“-Atmosphäre war das Ergebnis.

Anspieltipp: „Wollt ihr Musik, oder was?“, die erste Monotones LP

Jetzt wird’s ernst: Jeff Beck

Also trauten sich auch mittelmäßig talentierte Schülerbands an Stücke wie „Livin’ Alone“ von Beck, Bogert, Appice. Die Monotones haben es ja vorgemacht*!

(*Hier bin ich mir nicht 100% sicher. Das ist eine etwas neblige Erinnerung – Möglicherweise brachte der Kellner mehere Kaiser-Pils vom Fass! Falls die das nie gecovert haben, woher kam dann aber die Idee?)

Hier taucht zum ersten mal Jeff Beck auf. Damals galt er unter Teenagern zwar schon als sehr gut, hatte aber noch nicht den finalen Gitarren-Gott-Status späterer Jahre. Auf der „Beck, Bogert, Appice“-LP spielt er auch noch mit Pick, jedenfalls im Video aus der Zeit. Sehr zu empfehlen ist übrigens auch die Version des Stevie Wonder Hits „Superstition“.

Anspieltipp: „Beck, Bogart, Appice“

Ali Neander: Darf’s auch gerne etwas mehr sein?

Wer am Tag nach so einem südhessischen Kulturabend schon wieder fit war, machte sich am Sonntag auf den Weg in die „Suppenschüssel“ im Offenbacher Park. Echte Fans und aspirierender Gitarrennachwuchs pilgerten zu einem Jazz-Rock-Ereignis namens „Griffinger“: Der damals schon unbestritten geniale Ali Neander, Joky Becker am Bass und Roland Henkel am Schlagzeug standen nur drei Meter vom Publikum entfernt, spielten aber hundert Meter über jedem vergleichbaren Niveau in absurden musikalischen Sphären. Und es gab lecker kaltes Bier!

Al Di Meola-Platten verloren schlagartig etwas an Glanz, wenn man sehen konnte, was der junge Mann aus Nieder-Roden mit der braunen Stratocaster so drauf hatte …

Ali macht so etwas – anspruchsvolle Musik – immer noch. Und zwar sehr gut. Das schließt natürlich auch die Monotones ein, die gerne unterschätzt werden, weil sie so lustig sind und so viel Spaß machen. Man hört tatsächlich manchmal, dass das doch „nur“ eine Spaßkapelle ist. Anscheinend dürfen die dann laut irgendeinem offiziellen, bundesdeutschen Spaßvermeidungsgesetz nicht gleichzeitig gute Musiker sein. Pfff …  

Zurück zum Thema: Das neueste Produkt aus dem Hause Neander heißt „Boomer Bends“. Sehr zu empfehlen, wenn man seine eigenen Fähigkeiten als Gitarrist zu optimistisch einschätzt und mal wieder sanft geerdet werden muss, aber auch wegen der grandiosen Gästeliste. Die ist sehr umfangreich, aber da heute Tag der Dreschflegel ist, kommen wir mal gleich zum Punkt: Anika Nilles ist eine der Schlagzeuger*innen.

Extrem wichtiger Anspieltipp: Ali Neander „Boomer Bends“

Tipp: Kann und sollte man auch als physische CD kaufen. Einnahmen aus Streaming sind für Musiker ein ganz kranker Witz!
Hier zum Beispiel: Boomer Bends

Der schon angesprochene Jeff Beck hat nach seiner rockigen Phase eigentlich erst so richtig losgelegt. Immer umgeben von den besten Musikern, die er finden konnte, hat er die E-Gitarre ähnlich revolutioniert wie vor ihm Jimi Hendrix.

Aus der umfangreichen Liste der Veröffentlichungen kann man alles empfehlen. Wer im bequemen Sessel vor der Hifi-Anlage erleben will, dass Musik wie eine Droge wirken kann, sollte sich Jeff Becks „Live at Ronnie Scott’s“ reinziehen. Augen zu und ab geht’s. Tal Wilkenfeld am Bass und Vinnie Colaiuta am Schlagzeug. Den kennt man von Zappa und es wird ihm nachgesagt, dass er mit einer Hand Zappa-Partituren vom Blatt trommeln kann, während er mit der anderen ein Sandwich isst und gelegentlich die Noten umblättert. In der Liga der Super-Trommler also noch mal etwas Besonderes. Zusammen mit der Bassistin dermaßen tight, dass man denken könnte, die hatten was miteinander (Sehr wahrscheinlich nur ein Gerücht, oder?).

Anspieltipp: Jeff Beck: „Performing this week: Live at Ronnie Scott’s“

In guter Gesellschaft: Anika Nilles auf Tour mit Jeff Beck

Die nächsten Begleitmusiker Becks waren übrigens genauso extra-klasse. 2022 tauchte eine gewisse Anika Nilles am Schlagzeug auf. Moment mal …

Hier ist der Punkt, wo sich der Kreis schließt: Geddy Lee von RUSH sieht Anika bei Jeff Beck, lädt sie zum Kennenlernen nach Kanada ein. Es wird ein bisschen zusammen musiziert – in den Interviews reden Geddy und Alex Lifeson ausdrücklich nicht von einer Audition, sondern von einem Kennenlernen. Anika musste sich also nicht bewerben, sondern man checkte, ob es zusammen klickte.

Das tat es offensichtlich und Anika, die eben noch im Colosaal in Aschaffenburg spielte, sitzt im Sommer 2026 unter anderem im Madison Square Garden auf der Bühne.

Ganz schön aufregend und eine exzellente Wahl. Wer nicht mehr warten kann, hier ein Highlight aus ihrer Diskografie:

Anika Nilles: „Pikalar“

Auch für Anika gilt: CD kaufen, zu den Konzerten gehen und wer mit der rechts-links-Koordination schon so weit ist, dass er das nicht für eine politische Aussage hält, kann sogar Schlagzeugunterricht nehmen:
www.anikanilles.com

Wie klingt es wohl, wenn sie Tom Sawyer spielt? Bin gespannt, aber sehr zuversichtlich, dass dabei wieder etwas ganz Großes passiert …

RUSH: „Moving Pictures“

Und hier schließt die Geschichte mit einer tragischen Note:
Da Rush schon im Januar probt, muss Ali Neander bei seinen Januar-Terminen auf Anika am Schlagzeug verzichten.

Und Jeff Beck hat es 1976 vorausgesehen. Wer den Anspieltipp schon gehört hat, weiß Bescheid:

„livin’ alone is a lonely prospect
Don’t want to let you go no …“

Beck, Bogert, Appice: Livin’ Alone

Ali muss aber nicht alleine spielen: Moritz Müller (noch so ein Knaller an den Drums) hilft gerne aus.

Und aus …


Frank
Foto von Vitalii Khodzinskyi auf Unsplash

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