Familienunternehmen – Tradition trifft Moderne

Januar 29, 2025

Familienunternehmen sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – solide, innovativ, verantwortungsbewusst. Aber wie ist es, solch ein Unternehmen zu führen? Christoph und Moritz Nitsche können davon einiges erzählen.

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subzeroes Magazin – Oktober 2024

Die WIEST GROUP mit Sitz in Darmstadt ist eine Marke zwischen Tradition und Innovation. Seit der Gründung 1896 inhabergeführt, ist heute die vierte Generation des Familienunternehmens am Start. Wie sprachen mit Christoph und Moritz Nitsche über Vergangenheit und Zukunft, Verantwortung, Familie und aktuelle Herausforderungen.

Dann stellt euch mal vor, einer nach dem anderen …

Ja, ich fang mal an. Ich bin Christoph Nitsche, 40 Jahre alt, ledig und wohne hier in Darmstadt. Ich habe an der Uni Mannheim ganz klassisch BWL studiert, bin seit 13 Jahren im Unternehmen und hier schwerpunktmäßig für die Bereiche Unternehmenscontrolling und das Finanzwesen verantwortlich.

Hast du immer hier gearbeitet oder vorher schon mal irgendwo Erfahrung gesammelt?

Ich bin direkt nach dem Studium hier eingestiegen, mit Erfahrungen aus verschiedenen Praktika.

Die wievielte Generation seid ihr jetzt?

Wir sind jetzt die vierte Generation. Gegründet wurde das Unternehmen schon 1896, ist seit jeher familiengeführt und grundsätzlich waren die jeweiligen Generationen immer durchaus lang am Ruder.

Eure Eltern haben den Übergang schon vorgesehen und vorbereitet? Es kam also nicht überraschend?

Das war schon vorbereitet und es lief ja bei mir ein ganzes Stück weit noch parallel, sodass man da gut eingeführt wurde. Und es ist ja bis heute so, dass sie mit Rat und Tat zur Seite stehen und wir im Zweifel auch immer noch einmal in der Woche unseren kleinen Familienrat zum Mittagstisch haben.

Okay, und Moritz?

Ich bin Moritz Nitsche, der alleinige geschäftsführende Gesellschafter der Wiest Group. Ich bin 43 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, habe an der Berufsakademie in Mannheim Automobilwirtschaft studiert und bin seit 2005 im Haus.

Das Studium war sehr praxisbezogen, das heißt theoretische Semester und praktisches Arbeiten im Betrieb – in meinem Fall in einem Autohaus in Wiesbaden – haben sich nahtlos abgewechselt. Und so bin ich nach dem Studium auch direkt hier ins Haus gekommen, hatte aber parallel schon drei Jahre Praxiserfahrung durch das andere Autohaus.

Ich habe damals den Bereich Nutzfahrzeuge und Freizeitmobile übernommen, den mein Vater noch parallel mitgeführt hat, bis ich dann hier ins Haupthaus rübergegangen bin und die direkte Nachfolge angetreten habe.

Wann habt ihr mit euren Eltern angefangen darüber zu sprechen, dass ihr das Unternehmen übernehmt?

Man hat immer mal wieder darüber gesprochen, aber von Anfang an war nicht hundertprozentig klar, dass wir direkt nach dem Studium einsteigen. Man muss auch die Hintergründe ein bisschen verstehen. Wir sind, wie gesagt, die vierte Generation. Davor wurde das Unternehmen von unseren Eltern geführt, wobei unsere Mutter 40 Jahre im Unternehmen war: Zuerst gemeinschaftlich als Geschäftsführerin zusammen mit ihrem Cousin Ekkehard Wiest, und als dieser das Unternehmen verließ, hat sie ab 1998 noch fast 20 Jahre zusammen mit unserem Vater die Geschäftsführung übernommen. Sie ist 2014 und unser Vater schließlich 2017 in den Ruhestand gegangen. Die Generationen blieben also typischerweise immer sehr lange im Geschäft. Kontinuität ist uns wichtig.

Für unseren Einstieg war von Anfang an ein Studium geplant und der Einstieg ins Managment vorgesehen. Allen war klar, dass wir als Unternehmen eine Größenordnung haben, die das erfordert.

Sind noch mehr Familienmitglieder hier beschäftigt oder involviert?

Die Schwester unserer Mutter ist schon immer stille Teilhaberin und von den drei Söhnen unserer Tante sind zwei auch hier in der Unternehmung tätig, im Marketing und im technischen Bereich.

Auch die Übertragung an die folgende Generation – auch an uns – hat also reibungslos funktioniert. Es ist zum Beispiel nicht so, dass unsere Eltern uns reinreden. Dinge werden eher im gemeinschaftlichen familiären Austausch besprochen.

Wie schafft ihr es, zwischen euch Brüdern die Harmonie beizubehalten?

Also ich glaube, wir haben unsere eigenen Egos im Griff, können uns auch gut selbst einschätzen und beurteilen, was denn Sinn macht und wie man sich am besten aufstellen kann.

Ist das auch Erziehung?

Ja, natürlich. Familie und Unternehmen haben wir schon immer zusammen erlebt – wenn die Eltern ein Geschäft zusammen führen, bleibt das nicht aus. Das geht nur mit Disziplin und Rücksichtnahme. Man lernt, sich zurückzunehmen, aber natürlich auch, gewisse Themen offen anzusprechen. Das ist, denke ich mal, immer und überall wichtig und hat sich bei uns lange Jahre bewährt.

Natürlich lief aber auch nicht immer alles reibungslos. Und hier bei uns ist es jetzt natürlich auch so, dass wir als Brüder unterschiedliche Charaktere sind.

Also ihr beide?

Ja genau. Aber da auch immer offen darüber geredet wird, was der eine gut kann und was der andere gut kann, sind die Aufgaben auch gut verteilt.

Aber natürlich beeinflussen auch unsere Hersteller mehr als man denkt unser Handeln als freies Wirtschaftsunternehmen. Wir haben zum Beispiel unsere Bauten im Corporate Design des Herstellers zu gestalten. Und natürlich müssen auch die Menschen, die für uns arbeiten und die damit auch für die Hersteller arbeiten, sich mit beiden Unternehmen sehr wohlfühlen.

Wir müssen Assessment Center (ACs) ablegen, um überhaupt von den Herstellern akzeptiert zu werden. Das gilt für alle, natürlich erst recht für Nachfolger als Geschäftsführer. Da durchläuft man verschiedene Unternehmer-Nachfolgeprogramme, bis man dann am Ende den „Flugschein“ hat, mit dem man Unternehmen der Marke leiten darf.

Für euch ist das Thema also durch, und wie ist das mit euren Mitarbeitern?

Man muss in der heutigen Zeit überlegen, wie man seine Geschäftsführungsstruktur und Aufgabenverteilung organisiert. Dieses Patriarchische, das funktioniert nicht mehr, die Aufgaben sind zu groß und zu vielfältig. Da muss man anders strukturieren, um Schnelligkeit und um Tiefe hinzubekommen.

Also ist es im Grunde so, dass man die Zertifikate erfüllt, auf jeglicher Ebene. Und das geht bis zu unseren Monteuren. Bei uns arbeitet keiner, der nicht ein Fachkraftzertifikat der Hersteller hat oder es in Zukunft im Rahmen einer Fortbildung erwerben wird.

Wie geht ihr mit den VW-Markenvorgaben gegenüber eurer eigenen Unternehmensmarke um?

Man probiert immer, eine eigene Marke zu kreieren – natürlich im Einklang mit den Herstellermarken. Die sind aber so unterschiedlich, dass ein Mitarbeiter im operativen Betrieb nicht ohne weiteres wie ein Chamäleon zwischen Audi, Porsche und VW wechseln kann.

Aber parallel wichtig ist es, dass alle unsere Mitarbeiter die Marke Wiest verinnerlicht haben.

Ihr seid also als Autohaus auch eine Marke und das funktioniert ja über euch beide und nicht zuletzt über eure Mitarbeiter, richtig?

Ja natürlich. Die Mitarbeiter sind die Ansprechpartner. Am Ende geht der Kunde dahin, wo er sich wohlfühlt. Den Porsche kann man überall kaufen, immer das gleiche Auto. Das ist nicht der Unterschied.

Könnt ihr beurteilen, inwieweit sich der Bewerbermarkt in den letzten Jahren verändert hat?

Also grundsätzlich ist es natürlich genauso wie bei allen anderen: Unsere Branche ist auch stark unter Druck. Und daher es ist absolut notwendig, eine eigene Arbeitgebermarke zu kreieren, Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen vom Mitwettbewerber absetzen.

Jetzt sind wir, sag ich mal, noch relativ jung und hoffen einfach darauf, die Generation, die wir jetzt für uns begeistern wollen, weitestgehend noch zu verstehen. Aber es ergibt sich inzwischen hier ein komplett neues Bild: Wir bewerben uns bei den jungen Damen und Herren. Wo man früher gesagt hat, wir müssen auf die Kunden zugehen, heißt es jetzt, wir müssen zu den potenziellen Bewerbern. Und das erfordert natürlich für die Azubis und jungen Menschen, die man in die Ausbildung ins Unternehmen bringen will, eine ganz individuelle Ansprache, je nachdem, ob man im technischen Sektor, im Vertriebssektor oder im kaufmännisch-administrativen Sektor unterwegs ist: Die Ansprachen müssen sehr gezielt und individuell, und die Rahmenbedingungen, die man anbietet, müssen sehr flexibel sein.

Das ist gerade für uns als systemrelevanter Betrieb im Service-Sektor sehr herausfordernd. Wir hatten zum Beispiel auch in Corona-Zeiten in den technischen Bereichen offen.

Hier entsteht ein Spagat zwischen solchen Dienstleistungen oder Möglichkeiten wie dem mobilen Arbeiten im digitalen Workspace. Oder sonstige Sachen wie Kinderbetreuung oder Haustiere im Unternehmen. Faire Lösungen für alle Mitarbeiter sind unser Anspruch, sind aber oft schwierig unter einen Hut zu bringen.

Wie viele Mitarbeiter hat das Unternehmen Wiest?

Also insgesamt sind wir so circa um die 460 und hier am Standort ungefähr 260.

In welchem Bereich spürt ihr denn die Nachwuchsprobleme am meisten?

Eher im technischen Bereich. Und das Allerschwierigste ist aktuell eigentlich der klassische Spengler, der Karosserie-Mechaniker.

Wir sehen natürlich, dass sich alle Jobs rund ums Auto momentan sehr schnell verändern. Dabei haben die Mitarbeiter bei uns den Vorteil, dass sie sich in die unterschiedlichsten Richtungen entwickeln können. Was in einem kleineren Haus natürlich eher schwierig ist. Und generell scheinen mehr und mehr Leute in Studiengänge zu drängen, wo man aber ganz klar aus unserer Sicht sagen muss, dass eine handwerkliche Ausbildung auch heute noch eine sehr sichere und solide Basis ist. Und wem das mehr liegt als nur Theorie kann im Beruf später auch deutlich erfolgreicher sein.

Allerdings ist die Zeit der Allrounder vorbei, dafür ist die Technik viel zu kompliziert geworden. Aber die Chance auf Spezialisierung, die wir bieten, schafft natürlich die beste Voraussetzung für eine ganz andere Qualität der Arbeit. Ich vergleiche es gerne mit einem Krankenhaus, wo der Spezialist für eine bestimmte Prozedur durch die Menge der Erfahrungen qualitativ viel besser ist als der Allrounder. Man startet zwar mit der Grundausbildung zum Mechatroniker, die aber schon den Ansatz der Diagnostik mit in die Ausbildung einbezieht. Von dort aus geht es in Themen wie Batterietechnologie mit den damit verbundenen Sicherheitsvorkehrungen. Die Technik entwickelt sich natürlich auch immer weiter, aber viele junge Leute sind daran interessiert, die neuen Techniken zu verstehen und beschäftigen sich auch gerne damit.

Ist denn Mechatroniker immer noch ein reiner Männerjob?

In den Köpfen der Leute ja – aber das müssen und wollen wir ändern. Wir haben nur eine Frau bei Porsche in der Werkstatt, eine Quereinsteigerin, die bei uns eine Lehre zur Kfz-Mechatronikerin gemacht hat und jetzt im Team fest etabliert ist, und zwei Auszubildende.

Das ist längst keine reine Männerdomäne mehr, aber Frauen sind viel zu unterrepräsentiert.

Könnten denn ausländische Mitarbeitende gegen den Fachkräftemangel helfen?

Auf jeden Fall. Da liegt großes Potenzial. Aber wir stellen immer wieder fest, dass, auch wenn die Bereitschaft und das Talent vorhanden ist und man Zertifikate im Zweifelsfall nachschulen kann, Probleme sehr oft durch bürokratische Hürden entstehen.

Wir haben gerade jemanden für den IT-Bereich aus der Türkei geholt: Also ohne politische Unterstützung, muss man ganz ehrlich sagen, hätte das noch sehr, sehr lange gedauert. Aber auch bei Flüchtlingen aus Syrien zum Beispiel ist es so, dass wir als Arbeitgeber den Filter viel offener gestalten müssen, und dass die eigentliche Arbeit am Menschen, an der Integration, im Unternehmen, im Onboarding-Prozess und, sag ich mal, im analogen Arbeiten vor Ort dann auch stattfindet.

Welche drei Wünsche hättet ihr für die nächsten Jahre?

Also grundsätzlich würden wir uns freuen, wenn wieder mehr Ruhe bei uns in die Branche reinkommen würde, sodass wir uns wieder auf die wichtigen Sachen fokussieren könnten.

Zweitens, und das Wichtigste ist: gesund bleiben. Wir sehen das nach Corona: nicht nur körperlich, sondern auch mental. Psychische Erkrankungen muss man genauso ernst nehmen, die Warnsignale erkennen und reagieren.

Drittens wünschen wir uns eine klare Linie bei der E-Mobilität. Rein in die Kartoffeln und wieder raus aus den Kartoffeln ist das Schlimmste, was man der Wirtschaft antun kann.

Und Kritikern kann man empfehlen: einfach mal ausprobieren, die E-Mobilität. 

Das kann man auf jeden Fall als letzten Satz so stehenlassen. Vielen Dank für das Gespräch euch beiden.

Gerne.

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