So Lonely?

von | Dez 2, 2024

Was wir zum Thema Gesundheit noch sagen wollten: du starrst wahrscheinlich gerade auf den Grund für deine schlechte Laune.

„There’s an epidemic of loneliness, driven by all of our online-focused lives“*

Schlechte Stimmung muss noch nichts Ernstes sein, aber Vorsicht. Nicht nur, dass der Kontakt zur realen Welt langsam verlorengeht, der Ersatz für echte menschliche Interaktion sind 24 Stunden Info-Dröhnung und nonstop Hiobsbotschaften vom Algorithmus deiner sogenannten Social-Plattform. Und das ist schlimmer als gar keine Interaktion.

Wie merkt man, dass man betroffen ist?

Wenn dein introvertiertes Ich anfängt, sich im vollbesetzten Wartezimmer wohlzufühlen, weil du dich in Gegenwart von 20 Fremden, die in Handys starren, so schön allein fühlst, bist du etwas ganz Großem auf der Spur. 

Was ist passiert?

In einem kurzen Augenblick in der Geschichte, als man sich noch mit echten Freunden mit dem Handy über Social-Media verbinden und austauschen konnte, wurde die Welt von einem kollektiven Glücksgefühl überwältigt. Die Timeline wimmelte von dilettantisch geknipsten Schnitzeln und überbelichteten Lebensgefährten unter sengender Urlaubssonne. Und wer vermisst nicht die zwei an Würstchen erinnernde Oberschenkel unzähliger Kolleg*innen an diversen Stränden im Mittelmeerraum.

15 Sekunden später verramschten die ersten Influencer*innen in Schminktipps-Videos Plastikbürsten aus Pakistan an Schulmädchen oder testeten als Quereinsteiger Automobile, ausgestattet mit Action-Cam, theatralischen Gesten und schmerzfreier Zeigefreudigkeit.

Die „social“-Idee an „Social Media“ – sich untereinander auf Augenhöhe auszutauschen – wurde fast sofort von weitgehend bildungsfernen Verkaufsberatern mit möglichst laienhafter Außenwirkung und starkem Drang zum Exhibitionismus korrumpiert.

Und das Publikum machte begeistert mit. Denn warum sollte man jetzt noch einen Fachartikel lesen oder den Nachbarn nach seinen unvoreingenommenen Erfahrungen fragen, wenn man einem ehemaligen „Irgendwas mit Medien“-Student dabei zusehen kann, wie er als Quereinsteiger banale Floskeln in eine Kamera oder ein dümmlich in der Hand gehaltenes Clip-on Lavaliermikro stammelt. Selbst wenn man dem ganzen Bewegtbild-Aufriss nur mit Mühe entnehmen kann, dass er und seine strubbelige Freundin das Auto irgendwie echt okay finden: „Qualifikation Autobegeistert“ als Lachnummer zum Fremdschämen macht Quote und kriegt dafür 150 Öhre vom Hersteller.

Und so verkam Social-Media blitzschnell vom Hoffnungsträger der Meinungsfreiheit zur Schmuddelecke im Spielzimmer der Medien. Billig, laut und peinlich bis zur Schmerzgrenze war das Drehbuch der „Creator“, während es sich die breite Masse genussvoll auf Couch und vor den Laptops bequem machte oder sich in der S-Bahn oder auf dem Klo vom Handy belustigen ließ.

Ein paar wenige produzieren, viele konsumieren. Ende mit „Social“, weiter ging’s mit Media. Unreguliert, verkaufsorientiert und nicht mal mehr verschämt geldgeil.

Das erinnert nicht zufällig an klassische Medien mit starker Ausprägung Richtung Butterfahrten (alle außer Boomer googeln jetzt, richtig?) und gilt für alle Plattformen. Die unterscheiden sich lediglich in der Menge an Hass, Hetze und Falschinformation, die der Algorithmus fördert oder der Eigentümer zulässt.

BTW: Die EU meldet mehr als 960 Millionen gelöschte oder eingeschränkte Beiträge in den ersten sechs Monaten des Jahres 2024. Davon später mehr. Das ist ein ganz eigenes Problem.

Verstehe, die virtuelle Welt verursacht also mentale Probleme. Was kann man tun?

Bewusst genießen. Handys haben ja immer noch gute Seiten. Auch heute noch, wo Rockstars etwas genervt gegen mehrere tausend Handys ansingen, hat man die freie Wahl: Handy in der Tasche lassen und zuhören.

Es häufen sich Berichte über No-Handy-Parties, wo man die kleinen Zeitfresser am Eingang abgibt und mit Menschen redet. Klingt skurril und vielleicht sollte man nicht gleich „Trend“ brüllen, aber probiert das ruhig mal aus.

Weit neben der Spur kann man damit nicht sein: Statistiken zeigen eine weltweite Abnahme der Präsenszeiten auf den großen Online-Plattformen und eine Zunahme bei der Nutzung kleiner, privater Gruppen.

Vielleicht haben es manche Plattformen mit ihren gewinnmaximierenden Algorithmen doch überzockt? Oder Menschen merken, dass sie Werbe-Opfer geworden sind und ihre Aufmerksamkeit das eigentliche Produkt ist, das online verkauft wird. Dazu gibt es ein tolles Video von Marina Weisband. Vielleicht war die digitale Vortäuschung von „sozial“ doch keine tolle Idee und kein guter Ersatz für echte Interaktion mit anderen?

Empfehlenswerter Artikel auf wired:

*Ditch Your Screens to End the Global Friendship Recession

Credits:

Foto von Anton auf Unsplash

Foto von Fredrik Solli Wandem auf Unsplash

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